Brummer in Berlin
 — Hier lebt der englische Stil

Ein großes Schaufenster sagt wenig aus. Und wenn gar kein Schaufenster da ist, muss das ebenfalls nichts heißen. Im Einzelhandel kommt es auf innere Werte an. Auch die Lage kann täuschen.
Die Tauentzienstraße in Berlin ist zwar eine sehr umsatzstarke Einkaufsstraße, hochwertige Herrenbekleidung erwartet man dort aber nicht. Was modisch geboten wird, nennen die Briten „High Street fashion“, ich würde es als Allerweltsmode bezeichnen. Dazu Sportbekleidung, Elektronik, Souvenirs. Dazwischen Imbissstände, Bäckereien, Handyläden. Und wo ist nun Brummer? In der Nr. 17., genau auf der Grenze zwischen Charlottenburg und Schöneberg. Aber nicht zu ebener Erde, im ersten Stock. Das Geschäft führt deshalb ja auch den Zusatz „Die Etage“ im Namen. Wer die Hausnummer kennt, wird das Ladenschild entdecken. Dann muss man auch noch klingeln und anschließend die Treppe hochsteigen. Laufkundschaft lockt man so natürlich nicht an. Das macht aber nichts. Brummer arbeitet „by appointment“. Die Verabredung lohnt sich. Brummer in Berlin ist der beste unbekannte Tempel des englischen Stils. Und in Sachen britischer Look rangiert Brummer auch ganz weit vorn innerhalb Deutschlands. Spontan fällt mir kein Geschäft ein, dass ein ähnlich großes Sortiment an Klassikern in praktisch allen Größen zu bieten hat. Inklusive rahmengenähter Schuhe aus England, Krawatten, Smoking, Cut, Hemden und Krawatten.

Ich kenne Brummer und den Inhaber Gerd Seehafer seit Ende der 1990er Jahre. Ich lebte damals in Köln und hatte irgendwie herausgefunden, dass es in Berlin einen Herrenausstatter gibt, der Hackett führt. Hackett war damals außerhalb der Londoner Filialen nur per Mail-Order zu bekommen. Brummer bestand damals aus einem großzügig angelegten, ebenerdigen Geschäft mit breiter Treppe ins Obergeschoss. Das fand ich aber erst später heraus. Meine ersten Kontakte liefen über das Telefon ab. Ich sprach mehrmals lange mit Gerd Seehafer, dessen Sprachklang ihn als Berliner auswies. Ich bestellte damals eine Kordhose in blassem Pink, die später bei den Fotoaufnahmen im Kölner Studio als Requisite für mein Buch „Der Gentleman“. Erst einige Jahre später besuchte ich Brummer erstmals in Berlin. Ein Freund aus Köln war dort Kunde und wir besuchten das Geschäft gemeinsam. Das war Anfang der 2000er Jahre.

Als ich später selbst in Berlin wohnte, hatte Gerd Seehafer den Laden schon umgestaltet. Das Untergeschoss war vermietet und der Herrenausstatter auf der Etage komprimiert. Seinen Fokus legte er damals auf die Maßkonfektion, z. B. von Scabal oder Regent. Das ist auch heute noch der Schwerpunkt bei Brummer, das umfangreiche Sortiment ist eigentlich nur eine „Zugabe“ für Kunden, die keine Zeit oder keine Geduld für eine Maßbestellung haben. „Zugabe“ ist mit Augenzwinkern zu verstehen. Denn die Auswahl an Stoffen und Größen ist ziemlich vollständig. Ich wage sogar die Behauptung, dass es keinen anderen in Deutschland gibt, der so viele verschiedene Sportsakkos, aus Tweed, feineren Kammgarnstoffen und feinen Sommerqualitäten, im Angebot hat. Eine ganze Stange ist nur für einfarbige Fischgratsakkos aus Harris-Tweed reserviert. Weitere Sakkos aus Tweed dieser Provenienz hängen zwischen den anderen Jacken. „Aus dem schweren Harris-Tweed“, betont Gerd Seehafer, „nicht diese leichte Version, die man mittlerweile auch im Kaufhaus bekommt“.

Die Sakkos werden alle für Brummer in Europa gefertigt, es hängen auch noch einige von „Bladen“ in England dazwischen, einem Hersteller, der einem der größten britischen Konfektionäre gehört. Genäht wird schon lange nicht mehr in England, der Schnitt der Bladen-Sakkos ist aber sehr authentisch-britisch. Dazu gehört auch die Dreiknopf-Front. „Die finden Sie sonst auch kaum noch“, bemerkt Gerd Seehafer. Tatsächlich ist es derzeit sehr schwer, ein klassische Dreiknopf-Sakko von der Stange zu bekommen. Passend zu den Sakkos gibt es Kord- und Moleskinhosen. Der Hausherr trägt sie bei unserem Besuch in Rot, dazu ein grünes Tweedsakko mit Überkaro (nach Maß gefertigt) und schwarze Tasselloafer. Die Farbe der Schuhe nimmt er in einem schwarzen Einstecktuch mit kleinen weißen Punkten auf.

Die Etage ist randvoll mit Kleidung und auch in den Lagerräumen und in der Werkstatt hängt einiges. Neben den Sakkos gibt es Blazer und sehr viele Anzüge inklusive einiger Doppelreiher. Bei den Stoffen sind alle Klassiker, die der Fan des englischen Looks liebt, vertreten. Sharkskin, Kreidestreifen, Pinhead, Glencheck Kammgarn und auch wieder Tweed. Tweedanzüge von der Stange? „Selbstverständlich“, nickt Gerd Seehafer. Aus früheren Zeiten sind auch noch einige Kiton-Anzüge zu haben zum reduzierten Preis. Brummer arbeitet heute nicht mehr mit den Neapolitanern, früher hat er sie sehr erfolgreich in Berlin an den Mann gebracht. „Die Zusammenarbeit wurde mir zu kompliziert“, erklärt er augenzwinkernd. Die Hemden stammen von mehreren Lieferanten, z. B. von Hilditch Key. Die Krawatten werden bei Herstellern, die auch viele britische und französische Marken beliefern, genäht.

Direkt am Fenster steht das Schuhregal mit rahmengenähten Klassikern, überwiegend von Crockett & Jones. Es gibt auch noch Einzelpaare von anderen Herstellern, z. B. Tricker’s. Die Modellauswahl ist gut, man findet Oxfords, auch in hellem Braun, Brogues, Tasselloafer und den klassischen Penny „Boston“ von Crockett & Jones. Zum Sommer wird die Anzug- und Sakkoauswahl passend zur Jahreszeit ergänzt. Die letzten Sommerteile wurden gerade abverkauft. Am Fenster wird ein Smoking aus Samt präsentiert nebst Stoffproben in anderen Farben. Wenn nicht gerade Pandemie herrscht, verkauft Brummer zum Sommer hin auch viel „morning dress“, also den Cut.

Das Stoffregal und der Tisch mit den Ballen und Musterbücher erinnert daran, dass Brummer sich nicht als Konfektionsanbieter versteht. Man bekommt alles nach Maß inklusive Mänteln aller Art, z. B. den gegürteten Trench und ein Fieldjacket. Wenn nach der Anprobe oder auch später Änderungen nötig sind, übernimmt das die hauseigene Werkstatt. Auch die Passform der Konfektionsteile wird dort optimiert, ob es nun um Ärmel- oder Hosenlängen, Knöpfe am Ärmelschlitz oder den perfekten Sitz des Sakkos an Schultern oder Taille geht.

Wer nach dem Einkauf noch ein wenig Zeit hat, darf auf dem mit Tweed von Lovat bezogenen Sofa Platz nehmen und einen Kaffee oder Tee trinken. Gerd Seehafer ist ein Kenner der deutschen Herrenausstatterszene. Und wer Insiderstories aus dem Berliner Einzelhandel liebt, kommt auch auf seine Kosten. Gerd Seehafer kennt alle, die in der Hauptstadt hochwertige Mode verkaufen oder verkauft haben. Seit 1920 gibt es Brummer in Berlin, damals ansässig in der feinen Leipziger Straße. Brummer bot damals als erster Mäntel von Burberry an, laut Firmenhistorie waren das Geschäft deshalb bei Diplomaten besonders beliebt. Das ist lange vorbei. Brummer ist aber immer noch. An anderer Adresse und in einer komplett anderen Einzelhandelsszene. Wenn Gerd Seehafer die Namen der ehemaligen Mitbewerber aufzählt, werden Erinnerungen an die 1990 wach. Jetzt steht Brummer ziemlich konkurrenzlos da, die Zeit der inhabergeführten Herrenausstatter ist in Berlin jedenfalls vorbei. Von Brummer einmal abgesehen.