Carlo Jösch — Couturier in Köln

Der Kölner Couturier Carlo Jösch näht Maßkleidung für Herren und Damen. Und ab und zu auch mal einen Kilt. Wir sprachen mit ihm über seine Leidenschaft für handgemachte Mode, die schottische Nationaltracht und perfekte Passform.

BR: Ihre Mutter stammt aus Chile, Sie sind Rheinländer. Wie kommt es zu Ihrer Schottlandpassion?

CJ: Ich bin ja nicht reiner Rheinländer. Ich bin auch in Chile geboren. Das Fremde hat mich schon immer interessiert und Schottland war für mich bereits als Kind eine Faszination. Mit sieben Jahren habe ich das Land in einem Buch von Walt Disney entdeckt und bin daran hängen geblieben.

BR: Sie haben in Schottland eine Ausbildung als Kiltmaker gemacht. Insofern ist die Passion Teil Ihres Berufs. Sehen Sie sich primär als Herrenschneider, Modedesigner oder als Kiltmaker?

CJ: Ich würde nicht so in Kategorien denken. Für mich sind Mode und Bekleidung an sich interessant. Ich bin wahrscheinlich eher Herrenschneider, ich habe aber auch einen sehr starken Hang zum Künstlerischen. Der jetzt manchmal etwas zu kurz kommt. Aber der kreative Umgang mit Materialien, also die Zusammenstellung von Zutaten, Futterstoff und Obermaterial und das Finden von Lösungen, das sind die Sachen, die mich am meisten interessieren. Ich mag die Mischung aus verwegen und klassisch. Es muss interessant sein. 

BR: Köln ist eine moderne, bunte Stadt, nicht so sehr die Hochburg des klassischen Looks. Wie reagieren die Leute, wenn sie in ihrem Schaufenster einen Kilt sehen, einen Tweedmantel oder einen schottischen Shetlandpullover?

CJ: Ich denke, dass ich eine kleine Nische innerhalb der Kölner Bekleidungsbranche besetze. Aber die Leute, die zu mir kommen und das zu schätzen wissen, die sind natürlich Fans von diesen Dingen. Ich habe immer wieder auch Menschen, die durch Zufall hier vorbeikommen und die Pullover oder Schals in meiner Auslage gut finden. Denen wäre ein maßgeschneiderter Anzug vielleicht zu teuer, die wissen aber trotzdem zu schätzen, dass es Dinge gibt, die heutzutage kaum noch zu finden sind. 

BR: Sie haben schon mehrmals in Maßschneider-Rankings gute Plätze eingenommen. In aller Regel liefern ihre Kollegen Businessanzüge. Ist das bei Ihnen auch der Fall?

CJ: Das ist bei mir phasenweise mal so und mal so. Mal nur Businessanzüge, dann wieder mehr Sakkos und Mäntel. Dann sind wieder mehr die Kilts im Rennen. Ich arbeite ja auch für Damen, da ist es dann auch mal so, dass ich mehrere Kundinnen gleichzeitig habe. Aber Anzüge und Sakkos sind mein Hauptgeschäft.

BR: Wer lässt sich denn überhaupt einen Kilt machen und wozu?

CJ: Kilts werden meistens von denen gekauft, die meine Affinität zu Schottland teilen und diese Bekleidungsstück dort vielleicht auch kennen gelernt haben. Ich habe wenige Kunden, die das bestellen, weil sie unbedingt auffallen möchten. 

BR: Was hat denn Ihr Lehrmeister in Schottland gesagt, als Sie bei ihm vor der Tür standen und sich als Schüler beworben haben?

CJ: Der Kontakt ist durch einen vorangegangen Kauf in einem alteingesessenen Kiltmakershop in Inverness zustande gekommen. Da hatte ich wegen eines Praktikumsplatzes angefragt, weil ich die Kunst des Kiltmachens erlernen wollte. Bei denen ging das aber wegen der Räumlichkeiten nicht, deshalb haben die mich dann an William Law weiter verwiesen. Der war auch Inspector der Kilt Makers Association Of Scotland. Er war schon pensioniert, hat sich aber bereit erklärt, mich als Schüler aufzunehmen. Ich hatte da ja schon eine Ausbildung als Schneider hinter mir, er musste mir also nicht das Nähen beibringen. Es ging um die Technik und die Kniffe des Kiltmaking. 

BR: Wie muss man sich diese Lehrzeit vorstellen? 

CJ: Es war freundschaftlich, Bill, so nennt man ihn, war sehr offen. Aber auch sehr streng. Er ist halt von der alten Schule. Ich musste zwei Kilts für ihn unter Anleitung nähen und den dritten dann komplett allein. Und das alles auf Englisch und mit seinem sehr starken schottischen Akzent. Aber das hat letztendlich sehr gut geklappt und er war sehr zufrieden. Später habe ich für einen meiner Kilts sogar die Bestnote von ihm bekommen. Ich war ja der erste Nichtbrite, den er als Schüler aufgenommen hat. 

BR: Wie ist der deutsche Mann denn in stilistischer Hinsicht?

CJ: Es gibt in Köln sehr interessant gekleidete Menschen. Aber die findet man eher in bestimmten Stadtteilen. Ich war letztens in London, da ist mir aufgefallen, dass die jungen Männer sehr gekonnt die Stilrichtungen mischen. Da hat man z. B. viel Tweedmäntel gesehen, was einem hier kaum unterkommt. Wenn man in Köln einen Mantel anhat, dann ist das schon außergewöhnlich. Aber ich denke schon, dass sich was getan hat. 

BR: Gibt es bei jungen Leuten ein neues Interesse an handgemachter und klassischer Kleidung?

CJ: Ich kann das in der Hinsicht bejahen, dass ich immer wieder Anfragen nach Ausbildungsplätzen bekomme. Bei den Kunden bemerke ich dieses Interesse weniger, dafür ist das wahrscheinlich zu kostspielig. Ich habe auch junge Kunden aber ich würde behaupten, dass die meisten mittleren Alters sind.

BR: Kommen die Kunden mit fertigen Vorstellungen zu Ihnen oder ist Beratung gefragt?

CJ: Etwa 30 Prozent kommen mit einer festen Vorstellung. Der Rest ist relativ offen, da bin ich dann beratend tätig. Ich zwinge keinem meinen Stil auf. Ich gucke da ganz individuell hin. Deswegen verkaufe ich auch nichts im Internet und mache auch keine Maßkonfektion. Ich schätze das Individuelle und möchte mich darauf konzentrieren.

BR: Wie gehen Sie bei der Anprobe vor? 

CJ: Ich nehme Maß, sehe mir den Körper an, die Körperhaltung und setze das in den Schnitt um. Erstmal nähe ich dann wie die französischen Schneider eine Nesselprobe. Das heißt, ich nähe den Anzug, das Sakko oder was immer es ist, in einer Rohbaumwolle. Ich arbeite also vom Groben ins Feine. Und kann nachher wirklich millimetergenau den Schnitt korrigieren, alle Passformunstimmigkeiten und die Proportionen anschauen – mit dem Kunden zusammen natürlich. Viele Kunden kommen ja das erste Mal zum Maßschneider und können sich gar nicht vorstellen, wie das nachher aussieht. So kann ich erstmal einen Vorschlag machen und der Kunde sieht, eben nicht nur auf dem Papier die Reversbreite, die Crochetnaht, die Taschenlage. Das können wir im Vorfeld alles sehen und korrigieren und dann gehe ich in das Originalmaterial. 

BR: Was macht Stil aus?

CJ: Mich beeindruckt ja eher jemand, der nicht nach der neuesten Mode schielt. Wenn man sieht, jemand hat was ausgesucht und hat ein Lieblingsteil an, was nicht das allermodernste ist, es passt aber zu dem Menschen. So bin ich auch erzogen worden. Es muss passen. Nicht alles, was modern ist, steht einem. Wenn man eine gewisse Authentizität mitbringt, beeindruckt mich das ein bisschen mehr als wenn man den Eindruck hat, da hat sich jemand nach dem neuesten Modemagazin angekleidet. Die eigene Note macht es interessant. 

BR: Die meisten Maßschneider richten ihr Geschäft im Stil eines englischen Clubs ein mit altem Teppich und Chesterfield-Sofa. Bei Ihnen sieht es anders aus. 

CJ: Für mich war wichtig, eine gewisse Klarheit rüberzubringen im Atelier und ein bisschen was manufakturmäßiges. Schon gleich nach dem Studium 1996/97 wollte ich nicht einen Geschäftsraum und hinten wird gearbeitet. Ich wollte die handwerkliche Arbeit immer in den Verkaufsraum integrieren. Weil ich selbst immer interessant fand, was hinter den Kulissen passiert. 

BR: Seit wann sind Sie hier?

CJ: Seit 2000. 

BR: Dann waren Sie mit ihren Gedanken zu der Einrichtung weit vorn. Andere nennen das „gläserne Manufaktur“. 

CJ: Ich habe nie darüber nachgedacht, ob das ein Trend sein könnte oder ob man damit den Kunden ranholt. Was ich interessant finde, mag vielleicht auch für jemand anders interessant sein. Deswegen eröffne ich dem Kunden die Sicht auf das, was sonst vielleicht verborgen bleibt. 

BR: Muss man als Maßschneider auch Psychologe sein? Sie müssen in kurzer Zeit sehr viel über den Kunden und seine Wünsche rausfinden. Wie machen Sie das?

CJ: Ich versuche achtsam zu sein. Ich bin ja auch mit mir selbst achtsam, dann wird man das automatisch mit anderen Menschen auch. 

BR: Das Stichwort Preis fiel eben. Ist der für die Kunden wichtig? Oder sehen die eher den Wert der Sache?

CJ: Das ist sehr unterschiedlich. Vielen Kunden ist es das einfach wert. Die fragen nicht mal nach dem Preis. Da muss ich das dann ansprechen. Wenn Kunden von draußen reinkommen und fragen, was der Mantel im Schaufenster kostet, dann höre ich schon eher, dass sie sich das nicht leisten können.  

BR: Hier im Atelier ist auch ihr Hund dabei. Ein Corgi. 

CJ: Ich habe mich schon als Kind für Hunde interessiert und wir hatten zu Hause auch immer welche. Eigentlich war der Irish Setter meine Lieblingsrasse aber der wäre für meine kleine Stadtwohnung nicht geeignet. Da habe ich mich informiert, was für mich in Frage kommt. Und da blieb eigentlich nur der Corgi. Vielleicht hat es auch ein wenig mit meiner Affinität zu Großbritannien zu tun. Aber das war nicht der ausschlaggebende Punkt. Da ging es mehr um die Eigenschaften dieser Rasse. Und es sind halt auch lustige Kerle. Den hier habe ich erst seit zweieinhalb Jahren, sein Vorgänger war 16 Jahre bei mir.