Emanuel Berg. Der Hemdenmacher von der Ostseeküste 

von Bernhard Roetzel mit Fotos von Zuza Trykowa

Stil beginnt beim Hemd, das meint jedenfalls Jaroslaw Szchulda, Gründer und Inhaber von Emanuel Berg. Wir haben ihn in Polen besucht und zugesehen, wie bei ihm Hemden für Kunden in aller Welt zugeschnitten und genäht werden.

Als ich Mitte der 1990er Jahre in Köln wohnte, fuhr ich auf dem Heimweg häufiger an einem Cottage vorbei, also einem Bauernhäuschen im englischen Stil. Das Cottage lag in einem Gewerbegebiet an der Autobahn. An dem Häuschen wies ein Ladenschild auf „Maßhemden“ hin. Warum ich dort nie angehalten habe, weiß ich nicht mehr. Später erfuhr ich, dass dies das erste Geschäft von Emanuel Berg war.

Emanuel Berg ist der Markenname, den der polnische Hemdenfabrikant Jaroslaw Szychulda für seine Erzeugnisse kreiert hat. Manche Kunden können sich Berg besser merken als Szychulda und sprechen deshalb den Hemdenfabrikanten als „Herrn Berg“ an. Das macht ihm nichts aus, denn er mag den Namen Emanuel Berg. „Berg“ ist auch kein Phantasiename, er stammt aus der Familie des Gründers. 1999 bekam ich von ihm einen Brief. Er lud mich ein, seinen Hemden kennenzulernen. Sein Geschäft lag damals schon in der Kölner Innenstadt, nur wenige Gehminuten vom Dom entfernt. 

Jaroslaw Szychulda war nach Köln gekommen, um zu studieren. Irgendwann hatte er die Idee, Hemden zu fabrizieren. Er kaufte ein paar Nähmaschinen, stellt sie in einem Bauernhaus auf, das seiner Familie bei Gdynia gehört, und stellte Näherinnen ein. Das Bauernhaus habe ich irgendwann vor etwa 17 Jahren besucht. Die Nähmaschinen standen da schon längst in einem großen Fabrikgebäude in Tczew, etwa 50 Minuten Autofahrt von Gdynia entfernt. 


Emanuel Berg steht in Deutschland vor allem für Maßhemden. Ausgehend vom Erfolg der Hemdenboutique in Köln wurde ein System für das Maßnehmen entwickelt, mit dem Herrenausstatter problemlos Aufträge entgegennehmen können. Mit diesem System arbeiten weltweit etwa 200 Anbieter, in Deutschland z. B. Andreas Weidlich in Berlin, die Emanuel-Berg-Boutique des Ehepaars Dorls in München oder die Herrenschneiderei Kleegräfe Strothmann in Gütersloh. In Köln war Emanuel Berg zuletzt mit einem Geschäft in der Mittelstraße präsent. Dessen Kunden wurden von dem traditionsreichen Herrenausstatter Ebinghaus übernommen, der in Köln nun die erste Anlaufadresse für die Maßhemden von Emanuel Berg ist.

Emanuel Berg ist aber nicht nur da drin, wo Emanuel Berg draufsteht. Die Fabrik fertigt auch Konfektionshemden, Blusen, Pyjamas, Boxershorts und Morgenröcke für zahlreiche Einzelhändler, Maßkleidungsanbieter, Versandgeschäfte und Onlineshops in Deutschland, Europa und den USA. Manchmal wird Emanuel Berg explizit als Hersteller genannt, z. B. im Katalog von Torquato, meistens bleibt die Provenienz aber im Verborgenen. Schlicht und einfach, weil man Mitbewerbern nicht alles verraten muss. Dabei spielt Emanuel Berg durchweg in der oberen Liga mit, bei der Herrenmodemesse Pitti Uomo in Florenz trifft man am Stand des Hemdenmachers die Einkäufer und Inhaber vieler guter Adressen aus Hamburg, München, New York, Amsterdam, Brüssel, Paris, London, Madrid.

Namen nennt Jaroslaw Szychulda aus Diskretionsgründen nie. Beim Gang durch die Fabrik habe ich aber zahlreiche bekannte Namen gesehen. Auf Labels, die für die Hemden bereitlagen oder in der Zuschneideabteilung, in der die Schnittmuster für die Hemden der verschiedenen Auftraggeber aus aller Welt an einer großen Wand aufgehängt sind. Stolz ist „Herr Berg“ aber auf jeden Fall auf seine Kunden und die meisten hat er persönlich gewonnen. Bei der Akquise ist er in der Anfangszeit sehr offensiv vorgegangen. Ich selbst habe ihn einmal vor bald 20 Jahren in New York getroffen, als er gerade auf Verkaufstour war. Er fertigte damals bereits die Hemden für einen legendären Cravatier und Herrenausstatter aus Monterey in Kalifornien und mit dieser Referenz im Gepäck klopfte er bei verschiedenen Adressen an. Inzwischen kommen die Kunden zu ihm zur Messe nach Florenz oder er besucht sie direkt.

Das Emanuel-Berg-Hemd muss den Vergleich mit den Erzeugnissen italienischer Mitbewerber nicht scheuen. Saubere Nähte mit neun Stichen pro Zentimeter, die Seiten werden mit „single needle“ gestichelt, die Knöpfe aus Perlmutt sind auf Stiel genäht. Das erleichtert das Knöpfen und verhindert, dass die Knöpfe nach kurzer Zeit abfallen. Und damit die Etiketten nicht kratzen, werden sie aus besonders hautfreundlichem Material hergestellt. Der Kragen wird, je nach Kundenwunsch, fixiert oder unfixiert verarbeitet. Auf Wunsch wird das Hemd auch mit handgenähten Details angeboten. Bei den Stoffen arbeitet Emanuel Berg mit den besten Webereien Europas zusammen, z. B. Thomas Mason, Albini, Testa oder Alumo. Die Bücher mit den Musterstoffen für das Emanuel-Berg-Maßhemdensystem enthalten Qualitäten für jeden Bedarf und Einsatzbereich, vom feinsten Schweizer Voile bis zum weichen Baumwollflanell. Ein Maßhemd von Emanuel Berg kann man sich nach wie vor nur händisch anmessen lassen, Adressen von Geschäften, bei denen dies möglich ist, sind nach Ländern und Postleitzahlen geordnet auf der Webseite von Emanuel Berg zu finden. Dort sind auch Konfektionshemden zu finden sowie die Blusenkollektion für Damen.

Die kleine Emanuel-Berg-Boutique in der Nähe des Kölner Doms hat längst einen neuen Mieter gefunden. Jaroslaw Sychulda erinnert sich mit Schmunzeln daran, wie ich ihn dort das erste Mal besucht habe. Damals stand er noch jeden Tag im Laden und hat die Kunden bedient, das Großkundengeschäft betrieb er nebenbei. Heute nimmt er nur noch ausnahmsweise selbst die Maße. Und wenn, dann eher im Showroom, auf Messen bei besonderen Events. In dem Flagshipstore, der in einem Einkaufszentrum in Gdynia liegt, blättere ich durch die Stoffmuster. Die sind auf der Höhe der Zeit, aktueller sind sie auch bei den Hemdenmachern in Mailand oder Rom nicht. Neben den üblichen Verdächtigen aus Vollzwirn gibt es als lässige Variante weiche Jerseys und Denims in unterschiedlichen Waschungen, für das Frühjahr florale und grafische Drucke. Der persönliche Favorit des Hausherrn ist aber das weiße Hemd. Kein Zufall, dass er es auch bei meinem Besuch trägt. Überhaupt mag er Weiß, ob nun bei Pyjamas oder Boxershorts oder dem Dielenboden in seinem Büro. Dort treffen wir nach dem Besuch von Produktion und Flagshipstore seine Frau Petra. Sie hat ein leichtes italienisches Mittagessen vorbereitet. Aubergine gefüllt mit Ricotta und Mozzarella, dazu einen frischen Salat. 

Die Szychuldas sind große Italienfreunde, die Besuche bei Stoff- und Modemessen kosten sie stets aus. Während der Pitti Uomo in der Florenz wohnen sie seit Jahren außerhalb der Stadt in einem toskanischen Landhaus mit Pool, so können sie die Abende nach dem arbeitsreichen Messetag bei gutem Messen mit Freunden und Familie genießen. Petra Szychulda spricht fließend Italienisch, ihre Muttersprache ist Tschechisch. Polnisch beherrscht sie perfekt, außerdem Englisch und Deutsch. Die beiden reisen geschäftlich nur ausnahmsweise zusammen. Die Pitti Uomo ist eine Ausnahme, denn es ist die wichtigste Messe der Branche. Dort treffen sie ihre wichtigsten Kunden, knüpfen neue Kontakte und sehen auch viele Freunde aus aller Welt. Ansonsten übernimmt Jaroslaw Szychulda den größten Teil der Reisen. Während der Pandemie war er nur selten unterwegs, vor kurzem besuchte er das erste Mal seit anderthalb Jahren wieder seine Londoner Kunden. Den Sommer verbringen sie mit der Familie an der heimischen Ostseeküste im Seebad Sopot und in St. Tropez. Und welches Hemd empfehlen die beiden für den Sommerurlaub? „Weißes Leinen“, lautet die einstimmige Antwort. „Darf ich ein paar Stoffe zeigen“, fragt Jaroslaw Szychulda augenzwinkernd.