Flüss & Fischer — Herrenschneiderei aus Köln


„Bei uns ist die Zeit stehengeblieben und das soll auch so sein“. Albert Loddenkemper lächelt mich mit dem Gesichtsausdruck eines Menschen an, der glücklich im Hier und Jetzt lebt. Ich kenne dieses Geschäft seit Ende der 1990er Jahre. Als ich jetzt, das erste Mal seit 2003, dort eintrat, ist das wie eine Zeitreise. Das Interieur aus den Spätsiebzigern.  Das perfekt dekorierte Schaufenster. Und Albert Loddenkemper. Alles wie immer. „Ich bin jetzt 81“, erzählt der Hausherr, ich muss mich langsam nach einer Nachfolger umsehen. Ironisch ist das nicht gemeint. Albert Loddenkemper steht jeden Tag im Geschäft oder in der Schneiderwerkstatt im Obergeschoss des Hauses. Das Internet benutzt er nicht, er bevorzugt das Telefon. Damit macht er alle Termine mit Kunden, spricht mit Lieferanten und Webereien, gibt Hinweise für den Zuschnitt nach Neapel durch. Flüss & Fischer würde man heute als „old school“ bezeichnen. 

Bei uns ist die Zeit stehengeblieben und das soll auch so sein

Albert Loddenkemper

Albert Loddenkemper hat die 1899 gegründete Schneiderei, die auf „feine Gesellschaftskleidung“ spezialisiert war, 1975 übernommen und mit dem Maßatelier seines Vaters verschmolzen. Er erweiterte das Angebot um hochwertigste Konfektion und Accessoires. 1977 konnte er das benachbarte Ladenlokal hinzunehmen und gewann dadurch Platz für eine Damenabteilung. Zusätzlich gab es bei Flüss & Fischer weiterhin die traditionelle Maßschneiderei. Den Zuschnitt macht damals wie heute Albert Loddenkemper, laut der Firmenchronik, die 1999 zum 100-jährigen Firmenjubiläum erschienen ist, „Schneidermeister zu Köln“. Bei dem Jubiläum präsentierte er auch sein Werkverzeichnis. Was man sonst nur von Komponisten kennt, ist unter Schneidern vermutlich einmalig. Alle Arbeiten, die darin durch eine Modellzeichnung dokumentiert sind, wurden nur einmal gefertigt und danach nie wieder. Die Zeichnung zeigt auch den Kunden, für den das Opus entstanden ist. Namen nennt Albert Loddenkemper nicht, er macht nur Andeutungen, die jedoch aus Diskretionsgründen nicht publiziert werden dürfen. 


Heute arbeitet Albert Loddenkemper nur noch für sehr wenige Kunden nach Maß. Seine größten Umsatzbringer sind handgemachte Konfektion und Maßkonfektion. Er ist einer der wichtigsten deutschen Kunden der neapolitanischen Anzugmanufaktur Attolini, neben den Maßtagen mit den Italienern veranstaltet Albert Loddenkemper auch „Schuhtage“ und „Ledertage.“ „Die Verarbeitung bei Attolini hat ein unglaublich hohes Niveau“, erklärt Albert Loddenkemper. Zur Illustration dreht er eine Hose aus dieser Manufaktur auf Links und zeigt die aufwändige, händische Näharbeit des Hosensaums. „So viel Handarbeit macht sonst keiner, der Konfektion und Maßkonfektion liefert. Nur in unserem Atelier wird noch mehr von Hand genäht.“ Das will ich mir heute ansehen, erstmals in alle den Jahren. Es liegt im obersten Stockwerk des alten, am Kolpingplatz gelegenen Geschäftshauses. Wir verlassen den Laden durch die Fronttür und gehen ins Treppenhaus. Albert Loddenkemper geht voran und ersteigt zügig die Stufen. Als wir oben angekommen sind, ist bei ihm keine Beschleunigung des Atems hörbar. „Ich war früher Leistungssportler, Streckentaucher“ erklärt er, während er die Tür zur Werkstatt aufschließt. „Ich muss wieder mehr Sport machen aber ich habe so viel zu tun.“ Und dann treten wir ein in die Welt der Maßschneiderei. 

Eine ganz kleine Werkstatt mit Blick auf die Stadt. Eine Schneiderin und ein Schneider sind bei der Arbeit. Es riecht nach Dampf und Wolle. Albert Loddenkemper stellt die Mitarbeiter vor, beide arbeiten seit Jahrzehnten für ihn. Die Schneiderin bereitet gerade die Knopflöcher an dem Ärmel eines Anzugs vor, der Schneider näht eine Hose. Am Ende des schmalen Raums steht eine Büste, darauf die erste Anprobe eines Mantels. Albert Loddenkemper zeigt die Revers: „Alles von Hand pikiert. Der Stoff ist 100 Prozent Kaschmir aus Schottland.“ Ein weiterer Mantel für den Kunden, für den Albert Loddenkemper seit 1980 viele Unikate genäht hat. Fast nebenbei erzählt Albert Loddenkemper, dass er Mitte der 1960er in London gearbeitet hat. Bei Anthony Sinclair, dem Schneider der frühen Bond-Filme. „Ich habe Teile von Sean Connerys Garderobe genäht. Und ich weiß, wie die echte Savile-Row-Schulter verarbeitet wird.“ Das Geheimnis wird er nur mit einem Nachfolger teilen. Oder mit einem Kunden, dem er so einen Anzug macht.