Volkmar Arnulf — Der Herr der Schneider

Das Atelier von Volkmar Arnulf liegt in der Gutenbergstraße. Sie ist typisch für das alte Potsdam, die Häuser, die aus dem 18. Jahrhundert stammen, sind zweigeschossig. Das Straßenbild erinnert an die Niederlande. Wer den Laden betreten will, wird gebeten, zu klingeln. Ich drücke die Messingklingel, die perfekt zur goldenen Schrift auf der Glastür passt. 

Wenige Augenblicke später öffnet Volkmar Arnulf die Tür und bittet mich herein. Er trägt einen dunkelblauen, zweireihigen Blazer und dunkelgraue Hosen. Der Blazer hat einen Mittelschlitz, das ist ungewöhnlich. Volkmar Arnulf erklärt, dass es von der Figur des Kunden abhängt, welche Art von Schlitz er ihm vorschlägt. „Bei breiten Hüften oder starkem Gesäß sind Seitenschlitze ungünstig.“ Volkmar Arnulf spricht leise und jedes Wort wirkt wohlbedacht. 

An den Wänden des Verkaufsraums stehen Regale mit Stoffen, an den unteren Regalböden hängen Kleiderbügel mit Sakkos, Anzügen und Hosen. Links ein Einreiher aus schwerem Glencheck. Volkmar Arnulf zeigt daran, wie er gemusterte Stoffe verarbeitet: „Das Karo läuft senkrecht über die Paspel auf die Patte weiter.“ Auch an der Naht zwischen Kragen und Revers passt das Karo und es läuft sogar waagerecht weiter vom Vorderteil über die Seitenteile auf das Rückenteil. „Man muss beim Zuschnitt ein bisschen nachdenken, damit alles so passt“ erklärt Volkmar Arnulf augenzwinkernd. 

Neben den Anzügen, die offensichtlich für sehr stattliche Herren zugeschnitten sind, hängen auch zwei Anzüge in Kindergröße. Ein Kunde hat sie für seine Söhne bestellt. Sie exakt so gearbeitet wie die Anzüge für die großen Kunden. Die Hosen haben Seitenschnallen, sie sitzen aber nicht, wie sonst üblich, auf den seitlichen Hosennähten. Volkmar Arnulf scheint sich zu freuen, dass mir das aufgefallen ist. „Manche Kunden wollen keine Hosenträger, dann müssen die Seitenschnallen die Hosen halten. Das geht aber nur, wenn sie ein wenig nach hinten verlegt sind“, erläutert er. „Wenn sie rechts und links über dem Gesäßmuskel sitzen, rutscht die Hose nicht“. 

Volkmar Arnulf gilt als Koryphäe der Schnitttechnik, sein Wissen ist enzyklopädisch. Er kennt nicht nur er die Theorie, er beherrscht auch die Praxis. In zwei Betrieben hat er Herren-, Damen- und Uniformschneiderei gelernt. Danach ließ er sich von einem Exil-Franzosen in die Kunst des Modellmachens einweisen: „Ich musste nicht nach Paris zur Ausbildung, er hat mir hier in Berlin beigebracht, wie man Haute Couture macht.“ 

An den vorderen Verkaufsraum schließt sich das Probierzimmer an. Dort stehen ein deckenhoher Spiegel und ein zweiter, schwingbarer Spiegel bereit, bei der Anprobe muss der Kunde sich von allen Seiten sehen können. Volkmar Arnulf nimmt bei allen Kunden selbst die Maße, schneidet alles zu und macht alle Anproben. Und oft greift er in der Werkstatt noch selbst zur Nadel. Sie liegt in dem hofseitigen Teil des Hauses. 

Durch die Fenster sieht man den Parkplatz, auf den man durch ein großes Tor gelangt. Wer Volkmar Arnulf besucht, soll keine Zeit mit der Parkplatzsuche verschwenden. In der Werkstatt sitzen heute nur drei Mitarbeiter, ein Teil der Mannschaft arbeitet im Moment zu Hause. Seine Mitarbeiter beschreibt Volkmar Arnulf als seine verlängerten Arme, sie nähen so, wie der Meister selbst die Nadel führt. „Wir machen so viel mit der Hand, wie es nur irgend geht. Was mit der Hand genäht wird, ist einfach elastischer.“