Bei Nürnberg ist eine kleine Hightech-Hosenmanufaktur entstanden. Wie „Hightech“ und „Handmade“ by Hiltl zusammengehen, haben wir uns bei einem Besuch erklären lassen.
Deutsche Mode „Made in Germany“ ist ziemlich rar geworden. Bis in die 1960er Jahre wurde noch alle Art von Kleidung in Deutschland gefertigt und zwar in Ost und West. In der DDR ließen viele westdeutsche Marken fertigen, was bis heute in den östlichen Bundesländern mit einem gewissen Stolz vermerkt wird. Doch auch in der Bundesrepublik gab es zahlreiche Fabriken für Anzüge, Mäntel, Hosen, Hemden und Wäsche. Außerdem viele Produzenten von Accessoires jeder Art und verschiedene Schuhhersteller. Dann begann die große Auslagerungswelle, z. B. nach Nordafrika, Südeuropa und später dann Asien. Wer heute in Deutschland fertigt, ist ein Exot. Das gilt bei Kleidung bei Schuhen. Über einen ganz großen Schuhhersteller berichten wir demnächst, heute geht es um den Hosenmacher Hiltl, der letztes Jahr eine Hightech-Manufaktur an seinem Stammsitz in Sulzbach-Rosenberg bei Nürnberg installiert hat.
Hiltl war in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts eine der bekanntesten deutschen Hosenhersteller. Wie bei den meisten großen Marken Deutschlands stand auf dem Etikett der Name des Gründers und Machers des Produkts, so wie bei Boss, Miele oder Opel. Im Vergleich zu diesen Marken war Hiltl am Anfang vollkommen bedeutungslos. Dass der Herrenschneidermeister Fritz Hiltl 1955 zusammen mit seiner Frau Hedwig in Sulzbach-Rosenberg einen kleinen Hosenherstellungsbetrieb mit zunächst 6 Mitarbeitern eröffnete, war in keiner Weise bemerkenswert. Überall in Deutschland wurde Kleidung genäht, vor allem für den heimischen Markt. Doch der kleine Betrieb wuchs. 1958 stellt Fritz Hiltl seine Hosen erstmals auf der Kölner Herrenmodewoche vor, damals die bedeutendste Fachmesse Deutschlands. Zehn Jahre nach der Premiere zog die Werkstatt in ein modernes Fabrikgebäude um, denn der Hosenmacher brauchte Platz.
1980 beschäftigte Hiltl 370 Mitarbeiter, 2000 Hosen konnten pro Tag genäht werden. Hilt war längst ein Begriff im deutschen Einzelhandel. Hiltl exportierte aber auch. Als Hiltl 2015 das 60-jährige Jubiläum feierte, verkaufte der Konfektionär in mehr als 40 Ländern. Gefertigt wurde da schon längst nicht mehr nur in Franken. Wie viele andere deutsche Modemarken hat auch Hiltl Fertigungsstätten im Ausland betrieben, um die Kosten zu senken. Bis 2020 lief es weiter gut für Hiltl, dann kam Corona. Und, noch schlimmer, der Mehrheitsgesellschafter, der erst 2016 eingestiegen war, zog plötzlich seine Finanzierungszusagen zurück. Hiltl ging in Eigenverwaltung in Insolvenz. Es fand sich schnell ein neuer Eigentümer, Hiltl wurde umfirmiert und heißt nun Hiltl Hosenmanufaktur. Der Name passt zu dem Konzept, dass der neue CEO Gerhard Kränzle fährt. Er besinnt sich auf die Ursprünge, will wieder primär Hosenschneider sein und noch mehr Qualität bieten. Dazu gehört, dass er wieder mehr in Deutschland produzieren will. Die neue Produktionsstätte in Deutschland soll Hiltl unabhängiger machen von Lieferanten, unempfindlicher gegen Störungen des internationalen Warenhandels und natürlich auch schneller. Teurer dürfen die Hosen nicht werden, denn die wenigsten Kunden sind bereit, für „Made in Germany“ mehr zu zahlen. Die Manufaktur in der Oberpfalz soll deshalb mit weniger Mitarbeitern auskommen, die gleichzeitig mehr Hosen pro nähen können. Das wird z. B. dadurch erreicht, dass die Maschinen vielseitiger einsetzbar sind.
Gerhard Kränzle, der CEO des Unternehmens, arbeitet mit seinem Team schon an der nächsten Kollektion während die aktuellen Teile schon auf den Saisonstart im Sommer warten. Im Showroom hing also die Kollektion für Herbst und Winter 2023/ 2024. Im Outlet-Store, der direkt nebenan liegt, hingen dagegen schon erste Muster für diesen Sommer. Darüber berichten wir zum Saisonstart und stellen dann auch ein paar Teile vor. Gerhard Kränzle kam gerade aus einem anderen Termin, als wir die großen Halle betraten, in der Showroom, die Manufaktur, die Lounge und die Büroplätze untergebracht sind. Gerhard Kränzle wirkte wie immer gut gelaunt, sehr dynamisch und äußerst präsent. Er trug eine dunkelblaue Hemdjacke aus Jersey, kein Frühlingsteil, doch es war auch kalter Vorfrühlingstag. Die Jacke stammte aus der letzten Herbstkollektion. Hiltl macht nämlich nicht nur Hosen. Wobei die Jacken nicht in der eigenen Manufaktur genäht werden, denn dort entstehen wirklich nur Hosen. Hiltl sieht in den unstrukturierten, weichen Hemdjacken die perfekte Ergänzung zu ihren Hosen. Und die Antwort auf die Sakko-Krise der Post-Corona-Zeit. Immer mehr Männer suchen eine Alternative zum klassischen Bürolook, vor allem in Branchen, in denen der dunkle Anzug keine Pflicht mehr ist. „Die Männer sind in diesem Punkt weiter als der Handel“, erklärt Gerhard Kränzle, als er zwei Hemdjacken aus der Kollektion für den kommenden Herbst auf den großen Tisch in der Mitte des Showrooms legt. „Im Onlineshop gehen diese Jacke sehr gut, der Handel hat dagegen eher vorsichtig geordert“.
Der Showroom liegt direkt neben der Manufaktur. Sie ist nur durch Glas abgetrennt, gedämpft sind die Geräusche der Nähmaschinen und Bügelpressen zu hören. Überwiegend sind Frauen an den Arbeitsplätzen zu sehen, viele unterhalten sich über ihre Maschinen hinweg miteinander. Als wir den Manufakturbereich betreten, grüßt Gerhard Kränzle in die Runde. Man spürt, dass er sich dort nicht nur mit Besuchern blicken lässt. Er kennt alle Mitarbeiter persönlich und von jedem die Geschichte. Einige arbeiten schon seit 40 Jahren bei Hiltl, die meisten haben ihr ganzes Arbeitsleben dort verbracht. Für die neue Manufaktur sind einige sogar aus dem zeitweiligen Ruhestand zurückgekehrt. Denn Fachkräfte sind nicht leicht zu finden. Grundsätzlich kann man zwischen Nähmaschinen und Automaten unterscheiden. Die Maschine erfordert mehr Können bei der Bedienung, ein konstantes Ergebnis erfordert genaue Arbeit. Automaten werden im Vergleich dazu nur bedient, der zugeschnittene Stoff muss korrekt an- oder eingelegt werden. Ganz so einfach, wie das klingt, ist es aber nicht. Auch hier ist konzentriertes Arbeiten vonnöten. Handarbeit mit Schere, Nadel und Faden beherrschen viele Mitarbeiterinnen aber auch noch. Wenn manchmal ganz schnell ein Musterteil geschneidert werden muss, ist Handarbeit gefragt. An einem Tisch entsteht so gerade eine Hose aus einem karierten Wollstoff. Hightech allein reicht manchmal nicht aus.