Der Banker mit der Liebe zum Schönen — Ein Interview mit KPM-Inhaber Jörg Woltmann

Bernhard Roetzel: Sie sind Jahrgang 1947. Was hätte Ihre Mutter gedacht, wenn Sie sie hier im KPM-Café sitzen sehen würde?

Jörg Woltmann: Meine Mutter lebte 2006 ja noch, als ich die KPM gekauft habe. Ich weiß sie war etwas besorgt, aber auch stolz, dass ich mich dieser schwierigen Aufgabe gestellt habe. 

War das eine Steigerung gegenüber der Bankgründung? Für ihre Mutter als Berlinerin?

Die Bank war mein normaler unternehmerischer Werdegang. Die KPM war aber was ganz anderes, da es sich um ein deutsches und Berliner Kulturgut handelt. Das hatte schon eine deutlich andere Dimension. Dazwischen lagen ja auch 27 Jahre.

Man liest, dass Sie mit dem Kauf der KPM ins kalte Wasser gesprungen sind. Stimmt das? Sie werden sich sicher erkundigt haben über die Lage des Unternehmens.

Es war schon ein Sprung ins kalte Wasser. Ich bin ja kein Porzelliner und ich..

Entschuldigung. Kein was?

Porzelliner… so nennt man Menschen, die in einer Porzellan-Manufaktur arbeiten. Und ich habe etwas gekauft, das ich eigentlich nie haben wollte: ein produzierendes Unternehmen. Dass es so schwer ist, hatte ich nicht gedacht, das ist mir erst später klargeworden. 

Welchen Bezug hatten Sie denn persönlich zur KPM?

Ich bin mit der KPM aufgewachsen. Als ich 28 Jahre war, habe ich mein erstes Unternehmen verkauft. Da habe ich mir drei Dinge gekauft. Ein schönes Auto. Eine schöne Uhr und das KPM-Service „Kurland“ komplett für acht Personen. Heute habe ich eine Autosammlung, eine Uhrensammlung aber mein KPM-Porzellan ist immer noch das erste. Man hat eben das Beste. Es war mir zuvor nicht bewusst, welcher Aufwand in der Manufaktur betrieben wird. Allein an einer Tasse arbeiten 25 Menschen. Das braucht 29 Schritte und 14 Arbeitstage, um sie in Weiß herzustellen. Und das in Deutschland mit unseren Arbeitskosten. 

Was kostet diese Tasse denn?

Etwa 80, 90 Euro.

Was sich sehr relativiert, wenn man den Aufwand bei der Herstellung betrachtet.

Ganz genau. Wenn Sie einmal durch die Fertigung gegangen sind, diskutieren Sie nie wieder über Preise. 

Welche Mitbewerber haben Sie in Deutschland? 

Die zwei bedeutendsten Mitbewerber, die in reiner Manufakturarbeit produzieren sind in Deutschland Meißen und Nymphenburg.

Wodurch unterscheiden sich die Manufakturen?

Entweder mögen die Leute Meißen, KPM oder Nymphenburg. Wir unterscheiden uns schon stark im Stil. Die KPM ist preußisch streng und hat in der Bauhaus-Ära und Neuen Sachlichkeit eine äußerst produktive Schaffensphase gehabt.  Meißen hingegen ist verspielt und bekannt für aufwändige Malereien. Nymphenburg setzt mehr auf eine künstlerische bei der Figurenherstellung. 

Gibt es noch den typischen KPM-Käufer? Kauft der sich ein großes Service? Oder ist das ein Tourist, der sich ein Einzelstück holt?

Das hat sich natürlich geändert. Es werden nach wie vor Service gekauft, aber weniger für 12 oder 24 Personen komplett. Manche Kunden stellen es sich ihr persönliches Service aus verschiedenen Serien zusammen. Es werden aber auch Figuren, Skulpturen oder Vasen gekauft. Jüngere Kundennehmen gern unseren Kaffee-To-Go-Becher. Unsere Kunden sind Menschen, die Kultur und echte Werte lieben. Das stilprägende Design, die hohe Qualität und die Handwerkskunst spielen dabei eine ebenso wichtige Rolle. Es ist einfach ein Unterschied, ob Sie eine handgefertigte Tasse verwenden oder sie durch eine Maschine hergestellt wird.

Wenn man ihnen zuhört bekommt man den Eindruck, dass Sie jetzt Porzelliner durch und durch sind.

Bevor ich die Manufaktur gekauft habe war ich reiner Nutzer von KPM-Porzellan, heute bin ich auch Liebhaber und Sammler. Ich bin aber kein Porzelliner in dem Sinne, dass ich Produktionsfachmann bin. Ich weiß aber natürlich inzwischen ganz genau, wie die Manufakturprozesse aussehen. 

Wie eng ist ihr Kontakt zu den Mitarbeitern? Das ist ja ein Produkt, bei dem alles von den Mitarbeitern abhängt, weil jeder eigenverantwortlich für die Qualität verantwortlich ist. Kennen Sie jeden?

Ich kenne natürlich alle Mitarbeiter, sogar fast alle beim Namen. Da ich regelmäßig in der Fertigung bin, weiß ich, wo die Mitarbeiter wirken hingehören.

Wie hat die Belegschaft damals erfahren, dass Sie der neue Käufer sind? Das war ja ein großer Einschnitt.

Natürlich. Sie wussten ja vorher nicht, was mit der Manufaktur passieren wird. Geht sie in die Insolvenz? Ich habe sie vor der Insolvenz erworben. Die Mitarbeiter haben sich natürlich gefragt, was der Käufer für einer ist. Ein Investor, der es nur auf die Immobilien abgesehen hat? Da war am Anfang eine große Unsicherheit. Es ist mir aber in kürzester Zeit gelungen, das Vertrauen der Mitarbeiter zu gewinnen, denn die KPM habe ich nicht aus materiellen, sondern aus ideellen Gründen erworben. Den Beweis dafür bekam ich zu meinem Geburtstag überreich: eine Skulptur meiner selbst. Das hat mich sehr berührt, denn in die Ausführung sind viele Stunden Freizeit investiert worden. 

Wie haben Sie das Vertrauen gewinnen können?

Durch meine Art mit Mitarbeitern umzugehen. Ich spreche auf Augenhöhe mit den Menschen und nicht von oben herab. Ich schreibe mir da eine gewisse soziale Kompetenz zu. 

In Erfolgsratgebern wird immer gesagt, dass der Umgang mit Menschen das wichtigste Erfolgsrezept ist. Stimmt das aus ihrer Sicht?

Ja, zu 100 Prozent. 

Auch bei einer Bank?

Natürlich. Das gilt sowohl für Unternehmer als auch für Manager. Der einzige Unterschied ist ja, dass der Unternehmer bereit ist, das finanzielle Risiko zu tragen. Ich habe immer auf die Menschen gesetzt. 

Führen Sie das Bankhaus und KPM selbst?

Ich habe natürlich überall mein Management. In der Bank bin ich tatsächlich als Mitglied des Vorstandes noch im operativen Geschäft tätig. Ich verantworte die Bereiche Marketing und Vertrieb. Bei der KPM bin ich in Anführungsstrichen nur der Gesellschafter, ich bin aber auch jeden Tag hier in der Manufaktur. 

Wie teilen Sie sich den Arbeitstag auf?

In der Manufaktur beginnt der Arbeitstag sehr früh, deshalb bin ich meistens halb acht Uhr morgens hier und bleibe bis etwa um halb zwölf. Von zwölf bis 18 Uhr bin ich dann in der Bank. Mit dem Auto sind es bis dahin nur 15 Minuten. 

Sie haben eine Leidenschaft für Autos, um ihr Studium zu finanzieren, haben Sie mit Autos gehandelt.

Ich habe damals, das war in der Ölkrise, fünf Autohäuser gekauft. Das war Hobby und Leidenschaft. Als ich mit dem Studium fertig war habe ich mich in der Finanzdienstleistungsbranche selbstständig gemacht. Nach dem Abitur habe ich ja eine Lehre zum Bankkaufmann absolviert. 

Wie leben Sie die Leidenschaft für Autos heute aus? Haben Sie Zeit, sich dem zu widmen?

Nein (lacht). Meine Autos sind leider keine Fahrzeuge mehr, das sind eher Steh-zeuge. Das ist natürlich schade. Das mit dem Kauf der KPM war ja nicht so geplant, es nimmt eben viele Stunden am Tag in Anspruch. Die Bank braucht ihre Zeit und dann habe ich noch einige Hotels. Darüber hinaus ist mir die Zeit mit der Familie auch wichtig.

Für welche Autos schlägt ihr Herz? Amerikanische? Oder englische?

Mehr für die englischen. Fast alle meine Autos sind englische Autos oder Jugendträume wie ein 300 SL Roadster aus dem Jahr 1960.

Nicht der Flügeltürer?

Nein, das Cabrio war für mich immer das schönere Auto. Es gibt dazu aber auch noch eine Geschichte. Als ich 12 Jahre alt war, habe ich bei einer Hochzeit Blumen gestreut. Der Ehemann hat seiner Frau genauso einen Roadster geschenkt. Da habe ich mir gesagt, dass ich den später auch haben möchte – diesen Traum habe ich mir dann vor 20 Jahren erfüllt. 

Welche Farbe hat der Wagen?

Schwarz mit dunkelgrünem Leder, was sehr selten ist und er ist genauso ausgeliefert worden. Das ist auch einer besten, den es auf der Welt gibt, weil er noch nie restauriert worden ist. Erster Lack, erste Innenausstattung. 

Wie war das Berlin der 1960er für Sie?

Ich habe alles miterlebt. Den Mauerbau. Den Mauerfall. Die amerikanischen Präsidenten. John F. Kennedy vor dem Schöneberger Rathaus, Ronald Reagan vor dem Brandenburger Tor auf der Westseite, Obama auf der Ostseite. Man richtet sich ein. Ich habe diese Insellage auch nie als einschränkend empfunden. Ich habe diese Stadt immer geliebt und bin ihr immer treu geblieben. Ich habe alle meine Unternehmen in Berlin gegründet und habe auch nie daran gedacht, wegzugehen. Ich finde, das ist auch belohnt worden.

Eine andere Stadt wäre für Sie nie in Frage gekommen?

Wenn, wäre es als zweite Stadt Hamburg geworden und dann vielleicht München. Aber da habe ich nie drüber nachdenken müssen, auch wenn es sicherlich andere schöne Städte in Deutschland gibt.

In einem Interview haben Sie gesagt, dass Sie zwischen Freizeit und Arbeit nicht trennen? Machen Sie Urlaub?

Inzwischen ja. 

Wohin fahren Sie dann?

Obwohl ich Hotels besitze mache ich ungern Urlaub in Hotels. Ich möchte gern nach Hause kommen. Wir haben außerhalb Berlins ein Sommerhaus am Wasser, das ich sehr liebe. Und dann sind wir auch noch auf Ibiza und in Palm Beach, also auch immer am Wasser. Aber ich habe in meinem Leben leider mehr Flüge abgesagt als ich angetreten habe, weil immer geschäftlich etwas dazwischengekommen ist. 

Andere Hobbys? Golf? Jagd?

Golf habe ich mal gespielt, das habe ich aber aufgegeben als ich die KPM übernahm. Da fehlte dann die Zeit. Ich hatte für Golf aber ohnehin nicht die Ruhe. Ich kann nicht so schnell abschalten, das gelingt mir nur im Urlaub. 

Was macht das Berlin nach der Maueröffnung aus? Was reizt Sie besonders?

Die Veränderung. 

Gibt es Lieblingsorte in Berlin für Sie?

Was sich um den Gendarmenmarkt herum entstanden ist fand ich schon spannend, also die Berliner Mitte. Aber auch die Wiederbelebung des Kurfürstendammes. Berlin hat sich zu einer einzigartigen Stadt entwickelt.

Haben Sie seit KPM vermehrt Anfragen für Firmenrettungen bekommen?

Ja, natürlich. Weil es nur wenige verstehen, warum ich das mache. Nicht, weil ich Porzellanhersteller sein wollte. Es war reiner Patriotismus. Es ging und geht nicht ums Geldverdienen. Ich habe eine der letzten Luxusmarken gekauft, die weltweit verfügbar waren. Dazu habe ich Kulturgut gekauft. Welcher Unternehmer bekommt die Chance, ein Kulturgut zu retten? Seit ich die KPM gekauft habe, weiß ich Geld macht nicht glücklich, dafür ist es mit sehr viel Anerkennung verbunden – dem Bundesverdienstkreuz und dem Berliner Verdienstorden zum Beispiel. Irgendwann kommt eben die Einsicht, dass es wichtig ist, dass man im Himmel viel zu erzählen hat. 

Ich habe Sie in den letzten Jahren immer mal bei Events gesehen. Sind Sie abends viel unterwegs?

Ja, das gehört zu meiner Position dazu, aber ich selektiere vorher schon sehr genau. Ich bekomme im Schnitt vier Einladungen pro Tag und nehme vier pro Woche an. Das sind dann aber auch sehr interessante Veranstaltungen, die mir auch viel Spaß machen. 

Sie sind immer sehr elegant gekleidet. Ist das auch eine Leidenschaft?

Ja, das war schon immer so. Es ist nicht so, dass meine Frau mir die Sachen hinlegt. Ich gehe morgens an den Kleiderschrank und überlege genau was ich anziehe. Welche Krawatte, welches Einstecktuch, welcher Anzug. Welche Uhr trage ich dazu, welche Schuhe, welche Manschettenknöpfe. Das muss alles stimmig sein. Eventuell überlege ich auch, welches Auto ich fahre und was ich am besten dazu anziehe.

Stimmen Sie die Kleidung stilistisch auf das Auto ab oder farblich?

Nein, das war eher etwas scherzhaft gemeint es und wäre auch übertrieben. Aber wenn ich am Wochenende einen Sportwagen fahre dann ziehe ich dazu keinen Anzug an. 

Tragen Sie Maßanzüge?

Ich habe reine Maßanzüge und Maßkonfektion. Das hält sich bei mir aber alles in Grenzen. Ich will da nicht übertreiben.

Sie sagen oft, dass Sie sich als Preuße sehen im Sinne der preußischen Tugenden. Sind Sie dementsprechend persönlich eher bescheiden?

Das würde ich schon sagen. Ich bin sehr diszipliniert, stelle hohe Anforderungen an mich selbst. Auch was Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit, Geradlinigkeit angeht. Ich sage es immer so: Ich muss in diesem Leben nie die Straßenseite wechseln, weil ich jemandem nicht begegnen will. Wenn man selbstständig arbeitet, muss man diszipliniert leben. Auch wenn man mal bis drei Uhr früh feiert, klingelt um 6:30 Uhr trotzdem der Wecker. Das muss einfach sein. 

Spricht man Sie auf der Straße an? Oder wenn Events in der Manufaktur stattfinden?

Ja, natürlich, dann kommen die Menschen sehr positiv auf mich zu und bedanken sich, dass ich das Unternehmen erhalten habe und es sich so gut entwickelt hat.

Vor der KPM kannte man Sie weniger in der Öffentlichkeit?

In Wirtschaftskreisen kannte man mich natürlich, ich war ja mit 32 Jahren Deutschlands jüngster Bankier. Heute bin ich wahrscheinlich der älteste (lacht).  

Sie sind Selfmademan. Gibt Ihnen das ein besonderes Gefühl? 

Ja, es macht mich persönlich stolz von Null angefangen und alles allein aufgebaut zu haben.  Natürlich habe ich auch viel Glück gehabt und die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt getroffen.

Begegnet man Ihnen deshalb vielleicht auch positiv hier in Berlin? Und damals hier bei der KPM als Sie das Unternehmen gekauft haben?

Ich weiß nicht, ob die Menschen das im Detail wissen und viele können sich auch gar nicht vorstellen, dass so etwas geht. Aber ich bin ganz bodenständig geblieben. Meine Frau und meine Tochter auch. Wir sind nichts Besonderes. Wir sind einfach eine ganz normale Familie.

Die Bilder sind von Martin Smolka und Tommi Aittala.