Open Day bei M. Müller & Sohn: Einblicke in Deutschlands führende Schnitt-Technik Akademie

Am 14. Juni 2025 fand bei der M. Müller & Sohn Fachschule für Mode & Schnitt-Technik in Hamburg erstmals ein „Open Day“ statt. Über 200 Besucherinnen und Besucher aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden informierten sich über die Aus- und Weiterbildungsangebote an der legendären deutschen Akademie, obwohl draußen bestes Sommerwetter lockte.

Wer sich für Maßschneiderei interessiert, kennt M. Müller & Sohn als Erfinder des Schnittsystems, mit dem in Deutschland und Österreich die meisten Schneiderinnen und Schneider arbeiten. Und auch als Verlag der legendären Fachzeitschrift „Rundschau“, die inzwischen „M. Müller & Sohn“ heißt.

Wir haben uns beim „Open Day“ über die Ausbildungsmöglichkeiten informiert, in Workshops hineingeschnuppert und mit Besucherinnen und Besuchern gesprochen. Obwohl die Leiterin der Schule, Jasmin Clausen, an diesem Tag eigentlich komplett verplant war, hat sie dennoch Zeit für ein Gespräch mit uns gefunden.

Im Gespräch mit Jasmin Clausen: Digitalisierung und die Zukunft der Schnitt-Technik

FH: Frau Clausen, wie wichtig ist die Ausbildung bei Ihnen gerade angesichts von CAD und KI?

Jasmin Clausen: Die digitale Schnittkonstruktion ist aus unserer Sicht ein zentraler Bestandteil moderner Schneiderei. Wir empfehlen allen, sich in diesem Bereich weiterzubilden, denn es zeigt sich deutlich: Auch in der Schnitt-Technik schreitet die Digitalisierung rasant voran. Wer digital arbeitet, spart nicht nur viel Zeit, sondern langfristig auch Kosten.

Wir nutzen in unserer Schule die CAD-Software Grafis, mit der wir sehr gute Erfahrungen gemacht haben. Nach nur vier intensiven Weiterbildungswochen verlassen uns die Teilnehmenden hochmotiviert und begeistert von den neuen Möglichkeiten.

Künstliche Intelligenz spielt bei uns derzeit vor allem in der Redaktion eine Rolle. Dort setzen wir verschiedene KI-Tools gezielt ein, etwa zur Recherche, Bildbearbeitung und Erstellung von Beiträgen, um unsere Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten.

Schnitt-Technik statt Design: Der technische Fokus bei M. Müller & Sohn

FH: Was unterscheidet die Ausbildung bei Ihnen von Studiengängen an Mode- und Designschulen?

Jasmin Clausen: Unser Fokus liegt ganz klar auf dem Schnitt. Viele unserer Schüler*innen haben bereits eine Ausbildung zur Maßschneiderin oder zum Maßschneider absolviert oder ein Studium im Modebereich abgeschlossen. Im Vergleich zu Mode- und Designschulen arbeiten wir deutlich technischer: Bei uns steht die Schnitt-Technik im Zentrum, denn ein Design ist nur so gut wie der Schnitt, der dahintersteht. In der Praxis zeigt sich oft, dass Entwürfe auf dem Papier nicht so funktionieren, wie gedacht. Deshalb ist es unser Ziel, den Schnitt von Anfang an intensiv und verständlich zu vermitteln.

Wir legen großen Wert darauf, dass unsere Teilnehmerinnen den Schnitt nicht nur anwenden, sondern auch verstehen. Wie sieht die Basis aus? Wo liegen die Stellschrauben? Was ist bei unterschiedlichen Körperformen zu beachten? Dieses Verständnis ermöglicht es, gestalterische Ideen gezielt umzusetzen und technische Lösungen sicher zu entwickeln. Unsere Schüler*innen haben zudem die Möglichkeit, auch außerhalb des Unterrichts, zu Hause oder im Atelier, an ihren Schnitten zu arbeiten und diese im Anschluss gemeinsam mit der Dozentin bei einer Anprobe oder Passformkontrolle zu überprüfen.

Ein weiterer wichtiger Unterschied zu anderen Bildungseinrichtungen ist unser Vollzeit-Unterricht. Themen wie der Grundkurs mit allen wichtigen Grundschnitten, das Gradieren oder die digitale Schnittkonstruktion werden bei uns kompakt und aufeinander aufbauend vermittelt. Dadurch kann man sich über mehrere Wochen hinweg ganz auf den Lernprozess konzentrieren, ohne sich immer wieder neu einarbeiten zu müssen. Unsere Absolvent*innen verlassen den Kurs mit fundiertem Wissen, umfangreichen Unterlagen und der Fähigkeit, in der Praxis effizient und zielgerichtet zu arbeiten, ob im Maßatelier, in der Industrie oder im eigenen kreativen Umfeld.

Zwischen Lehre und Praxis: Jasmin Clausens Weg

FH: Fehlt Ihnen manchmal die Arbeit an Schnitten für und mit Kunden? Oder gehen Sie ganz in der Leitung der Schule und der Chefredaktion auf?

Jasmin Clausen: Aktuell nicht! Das liegt vor allem daran, dass meine Arbeit so vielfältig ist und mir große Freude bereitet. Die Fachschule entwickelt sich stetig weiter, unsere Fachbücher werden überarbeitet und ergänzt, neue Publikationen sind in Planung, spannende Kooperationen entstehen, und in diesem Jahr setzen wir erstmals unsere Online-Seminare um. Es ist unglaublich schön zu sehen, dass die Arbeit und Ideen, die mein Team und ich mit viel Engagement entwickeln, auf so großes Interesse stoßen und unsere Seminare aktiv gebucht werden. Dieses direkte Feedback motiviert mich täglich und bestätigt mich in dem, was ich tue.

FH: Machen Sie manchmal noch Einzelschnitte? Vielleicht für sich selbst?

Jasmin Clausen: Für mich selbst fertige ich schon seit Längerem keine Schnitte mehr an. Gelegentlich nähe ich noch etwas für Familie oder Freunde, das macht mir immer noch Freude, wenn auch eher zwischendurch. Manchmal entdecke ich auf Social Media oder in Modemagazinen interessante Schnitte, bei denen es sofort in den Fingern kribbelt. Doch meist kommt dann doch etwas dazwischen.

Damenschneiderei in Deutschland: Herausforderungen und Chancen

FH: Wie sehen Sie die aktuelle Situation der Damenschneiderei in Deutschland und wie sehen Sie die Zukunft?

Jasmin Clausen: Ich selbst bin nicht intensiv im Austausch mit Maßschneider*innen oder Ateliers, nehme aber bestimmte Entwicklungen deutlich wahr. Viele junge Menschen, die sich für eine Ausbildung in der Maßschneiderei interessieren, finden keinen Ausbildungsplatz, obwohl sie hoch motiviert sind. Gleichzeitig erhalten viele Betriebe eine große Anzahl an Bewerbungen, können jedoch meist nur eine Stelle besetzen und müssen viele Absagen erteilen. In Hamburg laufe ich täglich an einer Maßschneiderei vorbei, die ihre Arbeit in Schnitt und Fertigung ganz offen präsentiert, das finde ich großartig. Passantinnen bleiben stehen, schauen fasziniert zu und bekommen auf diese Weise einen direkten Zugang zum Handwerk. Sie erkennen, wie viel Wissen, Handarbeit und Zeit in einem Kleidungsstück steckt.

Ich wünsche mir sehr, dass das Schneiderhandwerk auch in Zukunft Nachwuchs gewinnt. An unserer Fachschule beobachten wir, dass das Interesse an Weiterbildungen stetig wächst. Umso wichtiger erscheint es mir, über neue Wege nachzudenken, wie man Menschen mit echter Leidenschaft und kreativen Ideen den Zugang zu einer fundierten Ausbildung ermöglichen kann.

Damen- versus Herrenschneiderei: Vielfalt trifft Tradition

FH: Was ist der größte Unterschied zwischen der Welt der Damenschneiderei und den Herrenschneiderinnen und Schneidern?

Jasmin Clausen: Ich würde sagen, dass Schnitte im Herrenbereich deutlich klassischer und langlebiger sind als in der Damenbekleidung. In der Herrenmaßschneiderei wird zudem viel von Hand gearbeitet. Wenn ich unsere Fachbücher betrachte, fällt auf, dass es im Damenbereich weitaus mehr Schnittvarianten gibt, von Röcken, Kleidern und Blusen bis hin zu sehr körpernahen oder oversized Modellen. Besonders spannend sind Kleidungsstücke wie Corsagen und Korsetts, die den Körper bewusst formen. Im Gegensatz dazu sind Herrenschnitte meist schlichter und konzentrieren sich stärker auf klare Linien und zeitlose Formen.

FH: Vielen Dank für das Gespräch. Und die spannenden Stunden heute beim „Open Day“.