Dieser Shop ist eine Hamburger Institution. Fans angloamerikanischer Klassiker statten sich dort von Kopf bis Fuß aus. Bowler oder Brogue, Chino oder Cut, alles ist zu haben. Nachhaltigkeit inklusive. Denn alles wurde schon vor Jahrzehnten gewebt, genäht oder gestrickt.
Die Büschstraße verbindet den Gänsemarkt mit den Colonnaden. Wenn man Hamburg nicht kennt, sagt einem das nichts. Wer mit der Stadt aber vertraut ist, weiß sofort, wo die Straße liegt. Auch wenn er wahrscheinlich ihren Namen nicht kennt. Sie ist nämlich sehr schmal und unscheinbar, man nutzt sie eher als Abkürzung oder Durchfahrt. Links an ihrem Ende, in der Nr. 9, liegt das Paradies für Freunde angloamerikanischer Vintage-Mode, der legendäre Laden Rudolf Beaufays. Die Inhaberin, Meisun Farhat, empfängt uns in der gerade geöffneten Tür und zieht sich noch die Maske über. Die Läden waren wegen der Inzidenzwerte leider gerade wieder mal geschlossen, uns hat sie am Samstagmorgen aber hereingelassen. Da wir nicht als Kunden gekommen sind, war das auch in Ordnung. Im Inneren sah es aus wie immer – eine Mischung aus Gentleman-Club, Kaminzimmer im Landhaus und englischem Herrenausstatter.
Sie suchen einen Anzug aus der Savile Row? Dazu ein passendes Hemd mit Klappmanschetten aus der Jermyn Street und eine Krawatte oder doch eher eine Schleife? Ein Paar Brogues, einen Hut und einen Mantel mit Samtkragen? Einstecktuch und Manschettenknöpfe? Oder Smoking, Frack oder „morning coat“? Mit etwas Glück finden Sie das alles bei Rudolf Beaufays. Geschichte inklusive. Vorausgesetzt natürlich, die Einzelstücke passen ihnen. Angesichts der Auswahl, die sich dem Suchenden bietet, ist es aber unwahrscheinlich, dass irgendjemand mit leeren Händen wieder gehen muss. Irgendwas ist immer dabei. Man muss sich einfach nur die Zeit nehmen, in aller Ruhe zu suchen. Die Klassiker und Raritäten des angloamerikanischen Stils findet man im Erdgeschoss. Mainstream-Mode und Sportswear – natürlich auch Vintage und ausgesucht – im Souterrain, das über eine Wendeltreppe zugänglich ist.
Wenn sehr englische angezogene Herren um die 50 mit ihrer Teenager-Tochter zum Stöbern kommen, dann geht sie meistens erstmal die Treppe runter. Irgendwann kommt sie mit einer schwarzen Motorradlederjacke, Schlaghose und einer Handtasche aus den 1970ern wieder hoch. Die Väter haben sich derweil in der Hemdenauswahl verloren. Rechts oben, direkt bei der Umkleide, hängen auf ein paar Metern Kleiderstange die Bügel mit den Hemden dicht an dicht. Nach Farben sortiert finden sich dort alle denkbaren Dessins, mit englischem Kentkragen, korrektem Haifisch oder amerikanischem „soft roll Polo collar“ – oft im Original von Brooks Brothers aus New York. Die Hemden durchzusehen ist wie ein Gang durch die Jermyn Street – Harvie & Hudson, Thomas Pink, New & Lingwood, Lewin & Son. Allerdings weit günstiger. Die Anreise entfällt und die Hemden sind auch bedeutend günstiger.
Das Adjektiv „englisch“ beschreibt in dem Hamburger Vintageladen, der seit einiger Zeit einen Teil seines Sortiments auch online anbietet, nicht immer die Provenienz der modischen Raritäten, oft nur den Stil oder den Look. Vorn an der Kleiderstange mit geschneiderten Mäntel prangt ein klassischer Covertcoat, wie ihn auch Meisun Farhat bei unserem Treffen trägt. Melierter Stoff, brauner Samtkragen, die typische Vierfachsteppung am Ärmelabschluss und Saum. Wer nun, neugierig geworden, das Etikett betrachtet, liest „Belvest“. Die italienische Anzugmanufaktur aus Piazzola sul Brenta im Veneto steht für beste Verarbeitung. Sie fertigt die Kollektionen bekannter Marken, sie kann aber auch „englisch“. Anzüge von Kiton kann man ebenfalls finden oder Hemden von Borrelli, einstmals gefertigt für die Hamburger Maßschneiderei Tom Reimer. Oder eine graue Flanellhose „Made in Italy“ in Kindergröße von Polo Ralph Lauren mit nach innen gelegten Bundfalten und Hosenträgerknöpfen.
Meisun Farhat bezieht ihre Ware zum großen Teil aus England. Ab und zu kauft sie auch Nachlässe auf. Nicht selten werden ihr die von den Erben angeboten. In einem Fall fand sich eine handschriftliche Notiz des Verblichenen, der darum gebeten hatte, im Fall seines Todes mit Meisun Farhat Kontakt aufzunehmen. Wer über viele Jahrzehnte gute Kleidung angesammelt hat, möchte sie nicht bei der Kleiderspende landen lassen. Dann lieber die beruhigende Gewissheit, dass die sartorialen Schätze bei Enthusiasten ein zweites Leben bekommen. Das erste Leben der Kleidungsstücke waren oftmals schon sehr spannend. Meisun Farhat kann zu vielen Teilen Geschichten erzählen. Von Leuten, die mit einem Kofferraum voller Maßanzüge bester deutscher Ateliers vorfahren. Und Telefonaten mit Stammkunden, denen sie die Anzüge direkt anbietet. Oder von Kunden, die selbst genauso prominent sind, wie die Leute, von denen einige der Sachen stammen. Namen verrät sie aber nicht, Diskretion gehört bei ihr genauso zum Geschäft wie beim Maßschneider.
Das Interesse an Vintage-Kleidung wächst immer weiter. Da kommen junge Männer, die sich schon mit 15 total klassisch kleiden und bei Beaufays ganz gezielt nach Ergänzungen ihrer Garderobe suchen. Andere Kunden führt der Zufall in den Laden , anschließend kommen sie immer wieder. Unter den Käufern sind viele, die sich Maßkleidung auch zum Neupreis leisten könnten. Sie finden es aber spannender, sich einen Anzug mit Vorgeschichte zu kaufen, Schuhe mit Patina und in Jahrzehnten eingetragene Hüte. Ältere Kunden schätzen die bessere Qualität der Stoffe von früher, die auch von Experten aus der Textilbranche bestätigt wird. Allen gemeinsam ist bei aller Verschiedenheit der Charaktere und Beweggründe für den Vintage-Kauf die Freude am Aufstöbern von Unikaten. Die Hose aus „cavalry twill“, geschneidert bei einem auf Reithosen spezialisierten Schneider der Savile Row. Der Cut, der einmal für einen Grafen genäht worden ist, wie der Name auf dem Etikett der Schneiderei verrät. Oder die Schuhe eines bekannten Münchener Schuhhauses, die so seit 20 Jahren nicht mehr zu haben sind, weil die Leistenform inzwischen verändert wurde. Und dann gibt es auch die Internatsschüler, die bei Beaufays nach abgetragenen Barbourjacken suchen, weil die nach guter Familie und altem Geld aussehen.
Meisun Farhat hofft, dass die Läden bald wieder dauerhaft öffnen dürfen. Online bietet sie zwar einiges an, das ersetzt aber nicht den Besuch bei ihr. Und Anzüge, Hosen und Mäntel muss man einfach probieren, vor allem die Maßanfertigungen. Außerdem vermisst sie ihre Kunden, denn erst die Menschen erwecken ihre Kleidung zu neuem Leben.