Herrenausstatter und Maßschneider — Sartoria Napoletana in Istanbul

Vor fünf Jahren habe ich in Florenz bei der Pitti Uomo Enis Inci kennengelernt. Er stellte sich als Inhaber des Maßausstattergeschäfts Sartoria Napoletana vor und wir tauschten Visitenkarten aus. In den folgenden Jahren bin ich Enis Inci immer wieder in Florenz begegnet. Kurz vor Pandemie kam die Idee auf, dass ich das Geschäft in Istanbul besuchen soll. Die Planungen für die Reise waren weit gediehen, wegen der Pandemie haben wir sie aber verschoben. Im Januar 2024 habe Enis Inci erneut in Florenz getroffen. Inzwischen arbeitet er mit Rovschan Gambarov zusammen, der bei mehreren Herrenausstattern Berufserfahrung gesammelt hat, z. B. bei Michael Jondral in Hannover. Ich traf die beiden zum Interview und dabei sprachen wir erneut über meinen Besuch. Wir einigten uns auf einen Termin Mitte Mai. Ich flog an einem Dienstag von Berlin nach Istanbul und fuhr vom Flughafen Istanbul International direkt in in den Stadtteil Nişantaşı. Das Taxi setzte mich in der Nähe des Ladens ab, die letzten 50 Meter ging ich zu Fuß. Ich wusste nicht genau, wonach ich Ausschau halten sollte. Die Adresse besagte, dass sich das Geschäft in einem Apartment befindet. So suchte mein Blick die oberen Etagen der Straße ab, deshalb ging ich fast am Ziel vorbei. Dann entdecke ich aber ein großes Schaufenster mit der Beschriftung Sartoria Napoletana. Es gewährte einen Panoramablick in einen klassischen Herrenausstatterladen, wie ich ihn lange nicht mehr gesehen habe. Vorn, als Auslage, ein paar Sakkos auf Büsten. Dahinter klassische Möbel, an den Wänden eine grüne Tapete, Bilder mit Modedrucken. Der erste Eindruck: Englisch. Zeitlos. Aber modern. Sehr hochwertig. Aber dezent. Und elegant. Eine Mischung, die in Deutschland kaum noch zu finden ist.

Der Fußboden des Geschäfts lag etwa in Augenhöhe, also im Untergeschoss, jedoch etwas erhöht. Offenbar ein Ladenlokal, zu dem ursprünglich eine Werkstatt die gehörte, die unterhalb des Verkaufsraums im Souterrain lag. Rechts neben dem Schaufenster befand sich eine Treppe, die zur Tür des Geschäftshauses führte. Neben der Tür fand ich die Klingel und machte mich bemerkbar. Kurz darauf summte es, die Tür ließ sich öffnen und ich betrat das Treppenhaus. Dort öffnete sich eine Tür und Rovschan Gambarov hieß mich willkommen. Er trug ein gestreiftes Hemd und Krawatte, das Beinkleid wurde von Hosenträgern gehalten. An den Füßen rahmengenähte Loafer, dezent gemusterte Kniestrümpfe. Er brachte zuerst mein Gepäck ins Büro, dann holte er Wasser für mich und einen Espresso für sich selbst. Dann erzählte er von dem Geschäft, das er als Partner des Gründers führt. „Der erste Laden im Stadtteil Bebek wurde vor 12 Jahren gegründet. Die Filiale hier ist ganz neu, sie ist erst im Februar 2024 eröffnet worden. Im ersten Geschäft gab es zunächst nur Maßanfertigungen, in letzter Zeit wird das Angebot verstärkt durch Konfektion ergänzt.“

„Es gibt hier eine lange Schneidertradition und sehr viele Anbieter von Maßkleidung. Wir haben unsere Schneider über viele Jahre an die italienische Arbeitsweise und den italienischen Stil herangeführt. Das gibt uns hier eine Alleinstellung.“

Hier konnte Rovschan Gambarov seine Erfahrungen aus Deutschland einbringen. „Viele Kunden wollen gern direkt etwas mitnehmen. Deswegen wurde die Konfektion sehr gut angenommen.“. Bei Sakkos und Anzügen liegt der Schwerpunkt auf Orazio Luciano. Im Januar wurden die Tebajacken von Justo Gimeno aus Zaragoza erstmals geordert, sie sind schon fast komplett ausverkauft. „Die Kunden lieben diese lässige Eleganz“, erklärt Rovschan Gambarov, während er eine Tebajacke aus flaschengrünem Hopsack-Stoff von Vitale Barberis Canonico aus dem Schrank nimmt. Abgerundet wird das Marken-Portfolio durch Hemden von Vanacore und Borriello, Krawatten von Seven Fold Firenze. Die Accessoires stammen von Calabrese, Serà fine silk, Bresciani, Pasotti, Peroni, Albert Thurston und Bespoke Dudes Eyewear. Im Zentrum steht nach wie vor die Maßanfertigung von Anzügen, Sakkos, Mäntel, Hosen und Hemden unter dem eigenen Label. Genäht wird alles am Ort in Istanbul. „Es gibt hier eine lange Schneidertradition und sehr viele Anbieter von Maßkleidung.

Wir haben unsere Schneider über viele Jahre an die italienische Arbeitsweise und den italienischen Stil herangeführt. Das gibt uns hier eine Alleinstellung.“ Ich habe mehrere Teile probiert, zuerst Konfektion von Orazio Luciano. Mir passt sie immer sehr gut. Doch auch die in Istanbul gefertigten Musterteile von Sartoria Napoletana passten hervorragend und trugen sich sehr leicht. Die Passform war Zufall, da ich nur Teile überziehen konnte, die für jemand anders gefertigt wurden. Von Tragegefühl konnte ich so aber einen Eindruck gewinnen und natürlich auch von der Verarbeitung. Das Geschäft teilt sich in den geräumigen, hellen Verkaufsraum an der Vorderseite auf, daran schließt sich der Probierbereich an, das Bad sowie das Büro hinten links und der Zigarren- und Whiskysalon hinten rechts. In diesem Salon werden den Kunden in Clubatmosphäre die Stoffe für die Maßanfertigungen vorgelegt. Die Bibliothek an Stoffmusterbüchern ist umfangreich und enthält die Bündel aller Spitzenweber. Die Zigarrenauswahl ist erlesen, sie stammen z. B. von Montecristo, Cohiba oder Bolivar. Das Interior-Design mit der Schlüsselfarbe Grün wurde komplett und konsequent in allen Räumen umgesetzt bis hin zu der Toilette in dem Grün der Tapete. Der Laden macht ingesamt einen sehr eleganten, aufgeräumten und stilvollen Eindruck. Letzteres gilt auch für Details, so stammen die Espressotassen z. B. aus dem Gran Caffè Gambrinus in Neapel.
Während meines Besuchs, der am ersten Tag etwa 2 Stunden dauerte, kamen immer wieder Kunden herein. Einige holten fertige Anzüge ab, andere sagten einfach nur Hallo oder tranken schnell einen Espresso. Die meisten probierten an oder kauften ein. Die Kundschaft war in den meisten Fällen polyglott und weit gereist und immer sehr gut gekleidet. Wir beschlossen den Tag bei einem türkischen Essen in der Nachbarschaft. Dabei leistete uns der Ankara stammende Fotograf und Influencer Ozan Erdogan Gesellschaft. Er erklärte sich spontan bereit, am nächsten Tag die Fotos für diesen Bericht zu machen. Wir trafen ihn am Vormittag im Geschäft, dort schoss er die Bilder, die Sie hier sehen. Ich werde ihn in einem weiteren Bericht gesondert vorstellen. Wer nach Istanbul reist, sollte auf jeden Fall einen Besuch bei Sartoria Napoletana einplanen, denn gute Herrenaustatter sind rar geworden.