Was macht zur Zeit eigentlich ein Maßschuhmacher? Alle reden vom Einzelhandel, doch wie sieht es im Handwerk aus? Wir haben mit dem Berliner Maßschuhmacher Korbinian Ludwig Heß gesprochen und dabei auch seine neuesten Schuhe gesehen. Der aus München stammende Handwerker ist unseren Lesern schon von einem früheren Bericht vertraut, außerdem haben Martin Smolka und Tommi Aittala in seiner Werkstatt die Fotos für den Bildband „Herrenschuhe nach Maß“ geschossen.
Bernhard Roetzel: Sie haben gerade drei sehr interessante Schuhe fertiggestellt, über die wir gleich sprechen. Vorab die Frage: Wie ist die Situation für Sie im Moment?
Korbinian Ludwig Heß: Tatsächlich hat sich für uns nicht viel durch Corona geändert. Als Handwerksbetrieb darf ich weiterhin jeden Tag meinen Laden öffnen und die gute Auftragslage erlaubt uns auch, dass wir ein bisschen länger auf Kunden warten können, die aus dem Ausland oder anderen Teilen Deutschlands kommen. Allein, in den Mittagspausen sitzen wir nicht mehr zusammen an dem kleinen Küchentisch und die Werkstatt ist ein bisschen „auf Abstand halten“ umgeräumt.
Das ist interessant. Etwas in der Richtung hatte ich neulich in unserem Newsletter gemutmaßt. Das heißt also, dass Kunden aus der Umgebung nach wie vor zu Ihnen kommen?
Es gibt schon hier und da einen abgesagten oder verschobenen Auftrag und die letzten Wochen waren auch ruhiger, aber es gab doch immer mal wieder Kunden, die so neugierig waren, dass sie trotzdem gekommen sind. Einer sogar aus Düsseldorf und einer aus Hamburg.
Glauben Sie, dass durch die „Corona-Krise“ eine Renaissance des lokalen Handwerks befördert wird?
Die These, dass die Menschen durch die Corona-Krise vorsichtiger und sparsamer werden etc. halte ich für Unsinn. Ich gehe eher von dem Gegenteil aus. Die Kohle wird auf den Kopf gehauen werden. Und davon profitieren dann natürlich auch lokale Handwerker, ja.
Wir haben uns getroffen, weil Sie gerade drei sehr interessante Schuhe fertiggestellt haben. Danke, dass wir Sie sehen dürfen, bevor die Kunden sie abholen. Wollen Sie uns die Schuhe jetzt vorstellen?
Hier haben wir einen Dreiloch-Blücher mit handgenähtem Riegel und polierter Spitze aus schwarzem Chromexcel. Chromexcel ist ein kombiniert gegerbtes (erst Chrom dann pflanzlich gegerbtes) Leder aus der Gerberei Horween aus Chicago. Nach der eigentlichen Gerbung wird dieses Leder mit Ölen, Wachsen und Fetten unter Hitzezufuhr imprägniert. Diese Nachbehandlung verleiht dem Leder seine charakteristische Lebendigkeit, den wachsigen Griff und auch den tollen Geruch, der ein bisschen an ein warmes Schafsfell erinnert.
Diesmal braun, aber ebenfalls aus Chromexcel von Horween, unsere Interpretation einer Jodhpur-Stiefelette. Anders als beim klassischen Jodhpur führen wir den Riemen nur einmal um die Ferse herum und nicht einmal um das ganze Bein. Das ermöglicht es uns, den Schaft niedriger zu halten, was den Schuh wesentlich legerer wirken lässt. Außerdem geht das An- und Ausziehen leichter und schneller. Für mich persönlich der Schuh aller Schuhe.
Gleiche Gerberei, anderes Tier. Ein Full-Brogue aus Cordovan Shell, also aus Pferdeleder. Die doppelte Sohle – eine Sohle ist genäht, die zweite Sohle ist holzgenagelt – entspricht hier der Robustheit und Langlebigkeit des Oberleders. Ein Schuh, der eingelaufen werden muss, aber ein absoluter Klassiker, der einen lange begleiten wird.
Die Diskretion verbietet es, dass Sie etwas über Ihre Kunden verraten. Könnten Sie trotzdem ein paar Hinweise dazu geben, wie es zu Form und Materialauswahl bei den Schuhen gekommen ist?
Der Herr mit dem Blücher hat bereits sechs Paar Schuhe von mir, hat damit fast alle Klassiker durch, mag aber schlichte Schuhe. Ein schwarzer Blücher hat sich da also angeboten. Die Zusammenarbeit mit diesem Kunden ist sehr besonders. Wir kennen uns nun seit ein paar Jahren und er schickt mir immer mal wieder Fotos von Schuhen, aber auch Fotos von Autos, Möbeln oder auch Lieder als Inspiration. Wir treffen uns dann immer, besprechen den nächsten Schuh nur grob und dann lässt er mir freie Hand. Bis jetzt war er immer zufrieden.
Der Herr mit der Stiefelette hat meine eigenen Schuhe gesehen – ich trage das gleiche Modell seit 8 Jahren – und sofort gesagt: „Die will ich auch haben“.
Bei einem Cordovan Full-Brogue landet man zwangsläufig irgendwann, wenn man klassische Schuhe mag. Die stumpfe, Budapester-anmutende Spitzenform ist einem alten Lieblingsschuh des Kunden nachempfunden.
Wie wichtig ist der Probeschuh bei Nachbestellungen? Machen Sie immer einen Probeschuh?
Bestellt ein Kunde z.B. einen Oxford und anschließend einen Derby, so brauche ich keinen weiteren Probeschuh für den Derby. Allerdings: Ein Slipper braucht einen anderen Leisten als ein Schnürschuh und ein Stiefel oder eine Stiefelette brauchen wieder einen anderen Leisten usw. Bleibt ein Kunde also immer bei einer „Art“ Schuhe, so sind keine weiteren Probeschuhe nötig. Wechselt er jedoch, dann mache ich eine weitere Anprobe.
Und natürlich mache ich nie ein zweites Paar Schuhe, ohne das erste nicht nochmal getragen gesehen habe.
Was ist für die größte Herausforderung an den Maßschuhmacher? Oder anders gefragt: Was macht seinen Erfolg aus?
„Den guten“ oder „den schlechten“ Maßschuhmacher gibt es meiner Meinung nach nicht. Ein Maßschuh ist immer auch eine ganz persönliche Zusammenarbeit zwischen Kunde und Schuhmacher. Wenn hier die Chemie nicht stimmt, ist auch der Schuh zum Scheitern verurteilt. Natürlich muss ein Schuhmacher gewisse Grundvoraussetzungen mitbringen. Handwerkliches Geschick, ein Wissen um die Beschaffenheit des Fußes etc. aber schon bei dem Sinn für Ästhetik wird es wieder persönlich und somit individuell. Ein „guter Schuhmacher“ erkennt frühzeitig, wenn die Zusammenarbeit nicht fruchtet und bricht sie dann ab. Das fällt am Anfang vielleicht schwer, weil man natürlich auch den Umsatz im Kopf hat, führt am Ende aber zum Erfolg.
Die Bilder für den Artikel hat Tommi Aittala gemacht. Hier geht es zur Website von Korbinian Ludwig Heß.