Campe & Ohff ist mir als Hemdenmanufaktur seit vielen Jahren ein Begriff. Ich kenne auch viele zufriedene Kunden des deutschen Anbieters, ich selbst habe dort aber bis vor kurzem noch nie ein Hemd bestellt. Für den Bericht bei Feine Herr habe ich dort nun ein Maßhemd in Auftrag gegeben, der Stoff dafür stammt Alumo in Appenzell. Vor ein paar Wochen konnte ich das Hemd abholen. Vermessen wurde ich Hamburg von Hans-Henrik Ohff persönlich, abgeholt habe ich es in der Berliner Filiale in Charlottenburg. Das Geschäft liegt am Walter-Benjamin-Platz. Die Dekoration des Schaufensters signalisiert eindeutig, was der Kunde im Geschäft bekommt: Hemden und Blusen.
Campe & Ohff fertigt für Neukunden immer nur ein Hemd als Prototypen, auch wenn gleich mehr Stoffe ausgesucht worden sind. Erst wenn der Prototyp passt, wird die Bestellung vollständig gefertigt. Bei Campe & Ohff ist keine Anprobe im Sinne der handwerklichen Hemdenschneiderei vorgesehen. Insofern war ich sehr gespannt. Mir wurde das Hemd im Laden mit der Bitte übergehen, dass ich es vor dem ersten Tragen einmal waschen sollte. Auf die Anprobe im Geschäft habe ich verzichtet, weil ich ein wenig in Eile war. Zu Hause habe ich das Hemd in Ruhe ausgepackt und angesehen. Die Verarbeitung macht einen guten Eindruck, die Einlage des Kragens (mittlere Stärke) fühlte sich gut an. Die Knöpfe sind nicht auf Stiel genäht, was mich nicht stört. Auf Stiel genähte Knöpfe gelten bei einigen Herstellern als Merkmal hoher Qualität. Mir selbst ist vor allem wichtig, dass die Knöpfe nicht abfallen. Leider habe ich es schon bei handgemachten Hemden aus Neapel erlebt, dass Knöpfe sich nach kurzer Zeit lockern. Mir ist bei Hemden übrigens sehr wichtig, dass die Knopflöcher nicht zu kurz oder zu schmal sind. Es ist ärgerlich, wenn man die Knöpfe nur mit Mühe schließen kann. In diesem Punkt gibt es bei dem Hemd von Campe & Ohff nichts zu bemängeln.
Nach dem Waschen habe ich das Hemd gebügelt und erstmals angezogen. Die Passform ist sehr gut, es sitzt an Schultern und Brust sehr genau. Die Bewegungsfreiheit ist optimal, auch wenn das Hemd relativ körpernah sitzt. Der Kragen hat die richtige Weite, die geklebte Einlage mittlerer Stärke ist angenehm. Die Muster verlaufen nicht perfekt über Schnittstellen der einzelnen Hemdenbestandteile. Ob einen das stört oder nicht, ist Geschmackssache. Selbst bei sehr teuren britischen Hemdenherstellern und bei den meisten Konfektionären aus Italien laufen die Muster nicht von der Schulter zum Ärmel weiter, in aller Regel bieten nur Hemdenschneider, die von Hand zuschneiden, dieses Detail. Von diesem Detail abgesehen, das man in Relation zum relativ günstigen Preis setzen muss, gefällt mir das Hemd ausgezeichnet. An der Passform und am Schnitt gäbe es nichts zu verbessern. Die Fotos von Tommi Aittala zeigen das Hemd nach dem ersten Waschen.
Mein persönlicher Eindruck von dem Hemd ist die eine Seite, zu einigen Details wollte ich Hans-Henrik Ohff selbst zu Wort kommen lassen und habe deshalb ein kurzes Interview mit ihm geführt.
Feine Herr: Ich habe das Hemd jetzt dreimal getragen. Die Passform gefällt mir sehr gut, die mittlere Einlage auch. Wie bekommen Sie die Passform ohne Probierhemd so gut hin?
Hans-Henrik Ohff: Wir nehmen die Körpermaße und erstellen einen individuellen Schnitt, der auch die Haltung, z.B. abfallende Schultern, berücksichtigt. Genauso wichtig wie das Maßnehmen ist aber das Gespräch mit dem Kunden. Wir versuchen herauszufinden, wie der Kunde sich das perfekte Hemd vorstellt. Das ist sehr individuell. Daher fertigen wir bei neuen Kunden zunächst ein Maßhemd als Prototyp an. Falls Anpassungen notwendig sind, wird das Hemd geändert und erst wenn der Kunde zufrieden ist, werden die Maße bei uns hinterlegt.
Die Verarbeitung finde ich sehr gut. Schade finde ich nur, dass das Muster nicht von den Schultern auf den Ärmel weiterläuft. Woran liegt das?
Das Muster beim rechten Ärmel passt relativ gut, beim linken Ärmel nicht so gut. Das Hemd wird im Fadenlauf und mittig vom Muster ausgehend geschnitten. Nur in seltenen Fällen schneiden wir sehr große Muster von Hand. Da sind schon die Grenzen von reiner Handarbeit und elektronischem Zuschnitt zu sehen. Auf der anderen Seite hat der elektronisch Zuschnitt auch Vorteile: Der Zuschnitt wird immer auf den Millimeter exakt gleich ausfallen und Sie können fünf Hemden auf einmal schneiden. Für den elektronischen Zuschnitt wird das Schnittbild am PC-Bildschirm gelegt. Da sehen Sie den Fadenlauf aber nicht das genaue Muster. Die Alternative wäre tatsächlich der reine Handzuschnitt. Maßhemden mit großen Karomustern werden bei uns allerdings auch selten nachgefragt, wir fertigen zu 90 % Businesshemden.
Wie viel mehr würden die Hemden denn kosten, wenn Sie den Stoff von Hand auslegen bzw. von Hand zuschneiden würden bei gemusterten Stoffen?
Um die Qualität auf gleichbleibend hohem Niveau zu halten, sind bei uns die Abläufe durch jahrelange Erfahrung perfektioniert worden. Die Produktion ist auf den individuellen elektronischen Zuschnitt ausgelegt. Das hat den Vorteil, dass die Hemden auch bei späteren Nachbestellungen immer exakt gleich geschnitten sind. Nur ein Hemd aus der Produktion herauszunehmen, damit das Hemd per Hand zugeschnitten wird, würde den gesamten Ablauf stören. Bei uns als Manufaktur hat jede Näherin ihren Arbeitsbereich. Eine Näherin näht die Krägen, eine andere näht das Rückenteil und am Ende läuft alles zusammen.
Die Knöpfe sind nicht auf Stiel genäht. Ist das auch eine Kostenfrage oder mögen Sie das einfach nicht?
Unsere Kunden loben immer wieder, dass unsere Knöpfe nicht abfallen. Knöpfe auf Stiel werden eher selten nachgefragt. Daher nähen wir unsere Knöpfe lieber wie bisher an. Optional könnten wir das aber sicher mal anbieten.
Wie groß muss man sich Ihren Ausstoß an Hemden vorstellen im Vergleich zu italienischen Anbietern oder einem Hemdenschneider, der vielleicht einen oder zwei Mitarbeiter beschäftigt?
Ein Hemd besteht aus mindestens 30 Einzelteilen und relativ vielen Nähten, also viel Hand-Arbeit. Das sieht man dem oft unscheinbaren Kleidungsstück gar nicht an. Werden die Hemden einzeln genäht und zugeschnitten, schafft ein Schneider je nach Ausführung des Hemdes 4 bis 6 Hemden am Tag. In unserer Manufaktur in Hessen schaffen wir 60 bis 70 Maßhemden pro Tag.
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, eine Produktlinie mit mehr „Handarbeit“ anzubieten, z. B. Handknopflöchern?
Handarbeit bis ins kleinste Detail ist für den Kenner schön anzusehen und adelt jedes Kleidungsstück. Es gibt auch in Europa Hemdenanbieter, da werden die Knöpfe, die Knopflöcher per Hand genäht und das Monogramm per Hand gestickt.
Wir sind 1996 gestartet, um in Deutschland gefertigte Maßhemden zu einem vernünftigen Preis anzubieten. „Vernünftig“ schien uns damals 98 Mark. Noch heute bieten wir Maßhemden unter 100 Euro an, so werden wir wahrgenommen. Eine „Luxusline“ mit Maßhemden ab € 350 sehe ich in naher Zukunft eher nicht.
Welchen Vorteil hat es für Sie, dass in Deutschland produzieren? Sie könnten doch sicherlich auch in Mitteleuropa nähen, auch in einem eigenen Betrieb.
Ein großer Vorteil der heimischen Produktion sind die kurzen Wege und die weniger starke Abhängigkeit von Lieferketten und Transportwegen. Das hat nicht zuletzt die Corona-Krise gezeigt. Das Problem bei dem Standort Deutschland für die Textilproduktion sind nicht die höheren Löhne sondern die fehlenden Fachkräfte. Aber das Problem besteht mittlerweile auch in Polen und Ungarn. Viele unserer Arbeitskräfte haben wir selbst ausgebildet und bieten auch in diesem Jahr wieder Ausbildungsplätze an.
Glauben Sie, dass es Zukunft wieder mehr Textilien in Deutschland hergestellt werden? Oder bleiben Sie ein Exot?
Der größte Teil der Bekleidung wird immer dort produziert werden, wo die Löhne niedrig sind und die Arbeitsbedingungen zumindest fragwürdig. Jedoch schaut ein immer größerer Kundenkreis auch darauf wo und wie etwas hergestellt wurde. Das Thema Nachhaltigkeit ist durch die Corona-Krise etwas in den Hintergrund gerückt, aber es wird ein Thema bleiben. Selbst große Labels fragen sich, ob die ständige Erhöhung der Produktion bei gleichzeitiger Senkung der Preise noch der richtige Weg ist. Daher hat die Produktion in Deutschland wieder eine Chance. Für spezielle Arbeitskleidung ohnehin, aber auch für Maßkleidung und sogar T-Shirts: das Berliner Startup Kragenweite produziert T-Shirts in Deutschland.