Cowboystiefel-Anprobe bei Korbinian Ludwig Heß — Premiere vor Zeugen

Wie ist es, wenn man das erste Mal Maßschuhe bestellt? Wie fühlt sich das an? Bei mir ist dieses erste Mal über 20 Jahre her. Ich könnte meine Gefühle und Eindrücke noch sehr genau schildern. Doch es wären Erinnerungen, die gefärbt sind durch viel weitere Eindrücke, Erfahrungen und das Wissen, das ich inzwischen angesammelt habe. 

Wir wollten ein ganz frisches Feedback einfangen, deshalb haben wir bei Korbinian Ludwig Heß bei der Anprobe eines Paars Cowboystiefel zugesehen. Bei Lena Winter, einer neuen Kundin, die vorher noch nie Maßschuhe hat machen lassen. Die Fotos, die Tommi Aittala geschossen hat, sind ungestellt, die Anprobe fand ohne Unterbrechungen statt. Korbinian Ludwig Heß hat dabei die Schuhe vor unseren Augen und der Kameralinse aufgeschnitten, ein zurück oder „nochmal“ gab es nicht. Und auch die Kundin hat ganz direkt und offen ihre Eindrücke geschildert.

Als wir eintreffen, ist Lena Winter bereits da. Sie trägt Schwarz, nur die gut eingetragenen Bass Weejuns sind weinrot. Lena Winter arbeitet in der Kunstbranche, bei der König Galerie betreut sie das Projekt „Messe in St. Agnes“, einer Galerie in der ehemaligen St. Agnes Kirche in Kreuzberg. Auf Korbinian Ludwig Heß ist sie bei der Recherche im Internet gestoßen. Ihr gefiel, dass dort ganz ohne Maschinen gearbeitet wird.

Sie hatte sich schon länger mit dem Gedanken getragen, Schuhe nach Maß arbeiten zu lassen. Weniger wegen der Passform, weil sie damit keine Probleme hat. Ihr geht es mehr um die Besonderheit, das Individuelle. „Dass es die nur für mich gibt, dass es den Schuh nie wieder gibt.“

Im Schuh kumuliert der ganze Charakter

Lena Winter

In ihrem Freundeskreis hat sie mehrere Bekannte, die sich Anzüge beim Schneider machen lassen, sie findet Schuhe spannender: „Schuhe sind das wichtigste Kleidungsstück. Sie haben diese irrsinnig tolle Bedeutung“. Schon immer hat sie auf Schuhe geachtet, schon als Schülerin. „Im Schuh kumuliert der ganze Charakter.“ 

Nun steht sie mit uns im vorderen Raum des Ateliers und wartet auf den großen Moment. Sie ist ein bisschen aufgeregt. „Es ist schon eine Grundsatzentscheidung, ob man sich sowas leisten mag. Ob man dazu bereit ist. Aber ich freue mich.“ Tommi Aittala hält sich mit seiner Kamera im Hintergrund, später werden wir an den Fotos sehen, dass er die ganze Zeit mit der Linse dabei war, jede Phase der Anprobe hat er einfangen. Nun geht es los. Lena Winter nimmt Platz, zieht ihre Pennyloafer aus lässt sich von Korbinian Ludwig Heß in den Probeschuh helfen. Sie trägt schwarze Nylonstrümpfe, die Strümpfe, die sie auch in den Stiefeln tragen wird. „Das haben wir vorher besprochen“, erklärt der Schuhmacher, „mit dicken Wollstrümpfen würde sie nicht in den Stiefel passen“.

Lena Winter hat Schwierigkeiten, in den ersten Stiefel hineinzukommen. Korbinian Ludwig Heß hat das erwartet und schneidet ihn den Probierschuh nun etwas ein. „Ich mache ihn etwas enger, denn aufschneiden und erweitern geht immer. Enger machen ist schwieriger“. Nun passt es, Lena Winter kann hineinschlüpfen. Beim zweiten Stiefel die gleiche Prozedur. Nun steht sie da in ihren Probierstiefeln. Sie sagt nicht viel, man sieht aber, wie sich mit den Füßen in die Schuh hineinprobiert, geradezu in ihn hineinhorcht. Dann geht sie ein wenig auf und ab, geht auch nach draußen, bleibt immer mal stehen. Dann das Lächeln, ein Schulterzucken: „Ja, das passt. Super!“. 

Korbinian Ludwig Heß geht nun auf die Knie, beginnt die Schuhe abzutasten, drückt, reibt, spürt den Füßen und Zehen nach unter dem Leder. „An der Ferse wackelt es ein bisschen“, merkt Lena Winter an. Korbinian Ludwig Heß hat das schon gemerkt. Sie zieht die Stiefel nun aus und der Schuhmacher schneidet sie an den Zehenkappe und den Fersen auf. Die Probierschuhe erinnern ein wenig an eine halb geschälte Apfelsine mit den abstehenden Lederstücken. Die bestrumpften Zehen sind nun sichtbar und ihre Lage auf der Brandsohle. Korbinian Ludwig Heß berührt die Schuhe fast mit der Nasenspitze, so dicht beäugt er die provisorischen Stiefel an den Füßen von Lena Winter. Dann darf sie die Schuhe ausziehen, die Anprobe ist vorbei. Entspannung setzt ein.

Wie war es? Lena Winter überlegt, dann die Antwort: Sehr angenehm. Es ist genau richtig. Wie der so perfekt sitzt „. Waren Sie vorher aufgeregt? „Ja, klar. Das ist ja auch eine Menge Geld. Aber ich freu mich da total drauf.“ Dass der Maßschuh ein Stiefel werden würde, war Lena Winter schon länger klar. Dass es ein Cowboystiefel wird, ist im Gespräch mit Korbinian Ludwig Heß entstanden. „Die geben diesen Cowboy-Power“. Lena Winter freut sich aber auch auf die Stickerei, weil das für sie auch eine Kunstform ist. Von der ist in dieser Phase noch nichts zu sehen, heute ging es nur um die Passform. Korbinian Ludwig Heß war damit sehr zufrieden, er überlegt, auf das zweite Paar Probestiefel zu verzichten. 

Würde Lena Winter zu Maßschuhen raten nach dem Erlebnis der ersten Anprobe? Lena Winter überlegt. „Ich habe sie ja noch nicht. Ich bin gespannt, wie ich darin laufen werde.“ Dann nickt sie aber. „Ich glaube schon, dass das ein anderes Lebens- und Laufgefühl ist. Man steht wahrscheinlich ganz anders da. Eine andere Bodenhaftung.“ Beim nächsten Schritt zum fertigen Stiefel werden wir wieder dabei sein. Und hören, wie das dann ist, wenn sie sie hat.