Das Hamburger Karolinenviertel ist keine 1-a-Lage für Anzugläden. Der modisch konservative Hamburger sucht seine Ausstattung eher rund um den Rathausmarkt, in Winterhude oder in Eppendorf. Im Karolinenviertel bestimmt nicht. Obwohl sich das kleine Quartier in den letzten zwei Jahrzehnten stark verändert hat. Westlich erstreckt es sich von den Messehallen bis zum Schlachthof, im Norden wird es durch die Lagerstraße begrenzt, im Süden durch das Heiligengeistfeld. Ende der 1970er tummelten sich hier noch die Punks, heute siedeln sich vermehrt gutverdienende Medien- und Designschaffende und Familien an. Mit ihnen kam die übliche Infrastruktur aus szenigen Bars, Cafés, Fahrradhändlern, Streetwearläden, Designerboutiquen und schicken Kinderschuhgeschäften. Dazwischen halten sich tapfer ein paar der alteingesessenen Trödler und Secondhandshops, der kultige „Mitali fashion shop“ bietet wie seit Jahrzehnten sein indisches Sortiment an.
Sollte sich ein klassisch ausgerichteter Anzugkäufer im Karoviertel verirren, vielleicht um für die Tochter ein Paar Chucks zu erstehen oder weil er nach dem Flohmarktbummel an der U-Bahnstation Feldstraße zu Fuß Richtung Gänsemarkt geht, könnte er eine Überraschung erleben. Wenn er plötzlich an einem Schaufenster vorbeikommt, das er so hier nicht erwartet hat. Hohe, holzeingefasste Scheiben, dahinter Anzüge auf Büsten. Aber was für Anzüge. Schottischer Tweed, grobfaserig und in Karovarianten, die man sonst nur in den Stoffbündeln der Schneider findet, kaum aber je fertig konfektioniert. Ein seidener Smoking in Fuchsia, eine Farbe, die sich der Duke of Windsor getraut hätte, aber geschnitten wie die Smokings des Ratpacks. Und dann ein dunkelgrauer Doppelreiher, so seriös und solide, dass er eines Hamburger Reeders würdig wäre. Dazu Krawatten, englische Hosenträger, Einstecktücher, seidene Morgenröcke und Schals.
Was er vor sich sieht, sind die Auslagen des Ausstatters Herr von Eden, dem Label des Designers Bent Angelo Jensen. Der Name klingt so schön, als hätte man ihn erfunden. Ein wenig nach Tonio Kröger und ein bisschen wie solides Silberbesteck, eine perfekte Synthese aus nordisch und mediterran. Die Erklärung ist einfach, die Großmutter des Designers war Italienerin, der Vater Däne, die Mutter Deutsche. „Die Kunden kommen zu mir, weil sie Freude daran haben, sich außergewöhnlich zu kleiden“, erklärt er in einem Zeitschriftenartikel. „Ich würde liebend gern an mehr Büromenschen verkaufen, wir haben aber den Ruf, besondere Anzüge anzubieten.“
„Wenn ich Leute zum Anzug bringe, die sonst nie Anzug tragen würden, dann wäre ich sehr glücklich.“
Bei aller Exzentrik einiger Teile gibt es bei Herr von Eden immer auch klassische, auf den ersten Blick unauffällige, Anzüge. Jensens Handschrift zeigt sich an Details, z. B. einem getupften Innenfutter oder bei der Kombination des gedeckten Zwirns mit einer phantasievoll dessinierten Weste. „Farbe ist das Make-up des Mannes“, erklärt der Designer.
Die Briten würden Jensens Stil als „classic with a twist“ bezeichnen, was so viel heißt wie Bewährtes mit Augenzwinkern, er will dagegen einfach nur Anzüge anbieten, die man sonst nirgendwo findet. Das scheint auch der Fall zu sein, denn viele Kunden stoßen bei ihm nach langer Suche endlich auf das Gewünschte. Ein Fan des Labels, ein in der Nachbarschaft ansässiger Fotograf, begründet seine Vorliebe so: „Normale Anzüge vom Herrenausstatter würde ich nie anziehen, das wäre ich einfach nicht. Bei Herr von Eden haben die Anzüge irgendwo was Klassisches, sie passen aber in die moderne Welt.“ Jensen gefällt diese Aussage außerordentlich. „Wenn ich Leute zum Anzug bringe, die sonst nie Anzug tragen würden, dann wäre ich sehr glücklich.“
Da Tommi Aittala in Berlin ansässig ist, haben wir Herr von Eden in Berlin besucht und dort auch die Fotos geschossen. Die Filiale liegt Alte Schönhauser Allee 14, also in der modischsten Ecke von Mitte, dicht am Übergang zu Prenzlauer Berg. Der Laden unterscheidet sich stark vom Hamburger Geschäft, die Anmutung des Interiors geht eher in Richtung „fifties“. Die Kollektion ist identisch, doch sie wird hier anders an den Mann gebracht. Bei Herr von Eden sind die Mitarbeiter nicht austauschbar, sie prägen durch ihre Persönlichkeit und ihren Style den Shop. Mit Schnurrbart, Koteletten und Strohhut verkörpert der Berliner Store-Manager Johannes Immel perfekt die exzentrische Seite des Labels, er berät mich aber so, als wäre er Verkäufer bei einem Herrenausstatter der Londoner King’s Road – als es dort noch Herrenausstatter gab. Ich probiere zunächst einen Zweireiher in dunklem Weinrot, entdecke dann aber einen hellen Leinenanzug mit feinen Streifen, ebenfalls „doppio petto“. Da es zu warm für eine Krawatte ist, werden mir seidene Einstecktücher vorgelegt, ich entscheide mich für eines mit einem wilden Paisleymuster.
Der Anzug passt in Größe 48 sehr gut an Schultern und Brust, die Gesamtlänge ist optimal. Die Hosen sind sehr hoch geschnitten und mit Seitenschnallen und Knöpfen für Hosenträger ausgestattet. Wenn ich den Anzug gekauft hätte, würde ich sie am Bund enger machen lassen und in der Länge kürzer. Für die Fotos hat es gereicht die Schnallen etwas strammer zu ziehen und Hosenträger zu verkürzen. An mir wirkt der Anzug fast norditalienisch, auch wenn die Hosen auf den ersten Blick englisch geschnitten sind. Keineswegs wirkt der Anzug übermäßig exzentrisch, er würde sich bestens in meine Garderobe einfügen. An dem Tag trug ich dazu ein Hemd mit einem Mikro-Karo aus Stoff von Alumo und die weinroten Maßschuhe von Maftei. Beides passte gut, allerdings würde ich zu einem hellen Anzug eher ein Hemd mit kräftigen Streifen oder Karos wählen und vermutlich Schlupfschuhe. Der Stoff des Anzugs wird durch mehrmaliges Tragen sicherlich weicher, dann wird das Teil noch lässiger wirken. In jedem Fall lohnt sich der Besuch bei Herr von Eden in Hamburg und Berlin auch für Freunde des klassischen, eher auffälligen Stils.