Korbinian Ludwig Heß war bis vor ein paar Monaten ein Geheimtipp in Berlin, inzwischen ist sein Namen vielen Maßschuhfans ein Begriff. Nicht nur in Deutschland. Vor kurzem war er schon mit einer Trunkshow in London zu Gast. Das hat vielleicht ein bisschen damit zu tun, dass viele Fotos für mein neues Buch, „Herrenschuhe nach Maß“, in seiner Werkstatt entstanden sind.
Doch Korbinian Ludwig Heß ist auch sonst auf stille Art sehr rege, er hat einige gute Kontakte zu Redaktionen, kennt viele Leute. Und auch die Mundpropaganda, das wichtigste Werbemittel für Bespoke-Anbieter, scheint gut zu funktionieren. Man empfiehlt seine Schuhe.
Die Werkstatt besteht aus zwei Räumen, die im Erdgeschoss eines Wilmersdorfer Gründerzeithauses liegen. Man betritt sie durch eine Glastür und gelangt dann in einen hellen Empfangsraum mit Sofa, großen Spiegel und einer Vitrine. In ihr sind drei Musterschuhe zu sehen. Nach rechts geht es in die Werkstatt. Dort arbeiten Korbinian Ludwig Heß und seine Mitarbeiter an zwei großen Tischen. Die Arbeitsteilung ist so wie üblich in Mittel- und Südeuropa. Als Inhaber und Chef kümmert er sich um die Kunden, nimmt Maß, baut die Leisten, entwirft die Schäfte und macht die Anproben, die Mitarbeiter machen den Schaft- und Bodenbau. Und wenn ein Mitarbeiter fehlt, übernimmt Korbinian Ludwig Heß dessen Part.
Die Arbeitsweise des gebürtigen Bayern wäre der Alptraum eines Controllers. Alles wird von Hand gemacht, auch in den Bereichen, die der Kunde nicht sieht. Der Schaft wird mit einer uralten Nähmaschine zusammengesteppt, ansonsten arbeitet Korbinian Ludwig Heß mit seinen Händen und den im Schuhmacherhandwerk seit Jahrhunderten gebräuchlichen Werkzeugen. Selbst den Leim, den er beim Schaft- und Bodenbau verwendet, setzt er selbst an. Im Prinzip könnte man diesen Leim essen, anders als die modernen Kleber, die genauso giftig sind, wie sie riechen. Das Gelenk, das auch bei sehr hochwertigen rahmengenähten Schuhen aus den bekannten Fabriken England, Spaniens oder Frankreichs aus Metall oder Kunststoff besteht, baut er aus Leder und vielen kleinen Holznägeln. Das sieht später keiner und vielleicht spürt man es beim fertigen Schuh auch nicht. Er macht es so, weil er es für die beste Variante hält. Und einen Controller gibt es ohnehin nicht.
So wie Korbinian Ludwig Heß arbeiten in Deutschland nur sehr wenige andere Maßschuhmacher, z. B. Patrick Frei in Freiburg. Am ehesten findet man in Wien noch Schuhmacher von diesem Schlag. Die meisten Maßschuhmacher setzen auf zeitsparende Methoden, einige stechen die Schuhe zwar von Hand ein, doppeln die Sohle aber mit der Maschine. Andere nähen die Sohle durch oder verkleben den Schaft nach dem Zwicken mit Brandsohle und Rahmen. Die Schuhe dieser Kollegen sind deswegen sicherlich nicht schlechter, über die Passform entscheidet ohnehin der Leisten. Günstiger sind die Schuhe aber, Korbinian Ludwig Heß gehört zu den teuersten Maßschuhmachern in Deutschland. Dafür wendet er aber auch mehr Zeit auf, als die meisten anderen. Allein schon deshalb, weil er in aller Regel nicht nur einen Probierschuh baut, meistens sind es zwei, nicht selten drei. Nicht aus Unsicherheit oder mangelndem Können, er will einfach nur ein optimales Ergebnis.
Deswegen möchte er die Menschen, die bei ihm Schuhe machen lassen wollen, vorher erstmal ein bisschen kennenlernen. Mal eben die Maße nehmen lassen, ein Bild von dem gewünschten Modell hinlegen und dann wieder gehen, das gibt es bei ihm nicht. Slow shoemaking beginnt mit einem ausführlichen Gespräch. Nur wenn er eine Idee von der Persönlichkeit hat, die zu den Füßen gehört, kann er auch die richtigen Schuhe machen.
Fotografie: Tommi Aittala und Martin Smolka.