Die Mailänder Manufaktur Petronius 1926 wurde in dem Jahr in Mailand von Luigi Wollisch gegründet, das Teil des Markennamens ist. Namensgeber ist der römische Schriftsteller und Politiker Titus Petronius Niger, der dem Kaiser Nero als Arbiter Elegantiarum diente, also Schiedsrichter in Geschmacksfragen. Die Manufaktur fertigt in Handarbeit Krawatten, Schleifen, Foulards, Einstecktücher und Cummerbunds. Der erste Standort lag in der Via Rugabella. In den 1950er Jahren zog die Firma in den Palazzo Borromeo d’ Adda in der Via Manzoni. Dort im historischen Zentrum der Metropole, blieb sie vier Jahrzehnte lang.
Heute ist die Manufaktur an einem neuen Standort zu finden, immer noch jedoch in einem lebendigen Wohnquartier Mailands. Das Haus verrät von außen nichts davon, dass sich im Souterrain eine Krawattenschneiderei und ihr umfangreiches Stofflager befinden. Wir waren im Sommer 2023 eine Woche lang in Mailand unterwegs, den Besuch bei Petronius hatten wir kurzfristig per Telefon terminiert. Wir hatten uns vorher angekündigt, die genaue Zeit legten wir aber erst von Mailand aus fest. Dazu bedurfte es lediglich eines Anrufs von Alessandro Siniscalchi, der die Inhaberinnen, das Geschwisterpaar Gigliola und Simona Wollisch, gut kennt. Aus dem Telefon klang die gut gelaunte Stimme von Gigliola Wollisch. Eine Stunde später standen wir vor der Tür eines großen Mailänder Altbaus und suchten den Namen der Manufaktur auf dem Klingelschild. Gerade als wir läuten wollten, kamen Gigliola und Simona um die Ecke. Sie kamen gerade vom Mittagessen und nahmen uns gleich mit hinein.
Der Firmensitz besteht aus Showroom und Büros im Untergeschoss des großen Altbaus sowie der Werkstatt und dem Stofflager im Souterrain. Man darf sich die im Untergeschoss liegenden Räume jedoch nicht klein, schlecht beleuchtet und mit niedriger Decke vorstellen. Sie sind überraschend geräumig, hoch und hell. Der Showroom ist mit viel Holz ausgestattet und hat ein wenig den Charakter eines Salons oder Wohnzimmers. Dort zeigte uns Gigliola Wollisch die aktuellen Kollektionen, die inzwischen auch Badeshorts umfasst. Durch die Musterbücher zu bättern war spannend, auf jeder Seite wurde ich immer wieder überrascht von der Kreativität, der Frische und dem sicheren Geschmack. Neben Stoffen wurden uns auch Muster von Krawatten in verschiedenen Macharten, Schleifen, Foulards und Einstecktücher gezeigt. Alles sehr stilvoll, elegant und dabei von höchstem Understatement.
Ich kenne die Familie Wollisch seit etwa 25 Jahren. Mein erster Besuch galt noch der Manufaktur in der Via Manzoni. Vermittelt hatte ihn damals mein Freund Francesco Maglia, der Schirmmacher, über dessen Nachfolger in dem Familienunternehmen wir berichtet haben. Damals lebte noch der Bruder Luigi, der mit seinen Schwestern die dritte Generation der Familie repräsentierte. Er war dieses Mal nicht mehr dabei. Sein früher Tod war ein großer Verlust für die Familie und das Unternehmen. Doch die Schwestern haben weitergemacht und heute, nach und trotz der Pandemie, ist Petronius 1926 immer noch einer der besten Cravatiers Italiens, wenn nicht der Welt. Was meines Erachtens vor allem an den Stoffen liegt, die dort verarbeitet werden. Die Krawatten werden bei Petronius 1926 von Hand zugeschnitten und genäht. Das sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Zuschnitt und Näharbeit werden sehr sorgfältig ausgeführt. Was Petronius 1926 aber vor allem auszeichnet ist der sichere Geschmack, den die Familie bei der Zusammenstellung ihrer Kollektionen seit den 1920er Jahren bis heute immer wieder beweist. Das ist keine Behauptung, die man glauben muss, sie ist sichtbar und greifbar in der umfangreichen Sammlung von Vintage-Stoffen, die in der Mailänder Manufaktur lagern. Diese Sammlung darf man sich nicht als Archiv oder Museum vorstellen, vielmehr als Stoffrollen, die in Regalen, die bis an die Decke der hohen Werkstatträume reichen, griffbereit in Kartons stehen. Um sich durch diese Masse von Stoffrollen durchfinden zu können, sind sie thematisch nach Stichworten geordnet.
Immer wieder zieht Gigliola Wollisch bei dem Rundgang Seidenrollen aus einem der Regale hervor und rollt das Material auf einem der Zuschneidetische aus. Drucke, Jacquards. Aus Seide, Wolle, Kaschmir. In allen Webarten, diversen Mustern, Farben, Motiven. Zwischen den Regalen wird zugeschnitten und genäht. Die Kunden von Petronius 1926 stammen aus aller Welt. Herrenausstatter, Schneider und Hemdenmacher, Luxuskaufhäuser in den USA und Asien – alles erste Adressen, oftmals seit Jahrzehnten Kunden bei der Mailänder Manufaktur. Viele von ihnen reisen von weit her um persönlich ihre Kollektion aus den Vintage-Stoffen zusammenzustellen. Andere greifen auf die aktuellen Muster zurück und lassen daraus die Krawatten für ihre Läden oder Labels nähen. Inspirationen gibt es reichlich.
Ob nun der Stil eines Sommers in den 1950ern, des Herbstes der späten 1960er. Ob Madder, Grenadine, Strick, Shantung, Gumtwill – bei Petronius 1926 liegt eine Welt von Möglichkeiten bereit. Die Krawatte ist tot? Gigliola Wollisch winkt lachend ab. Nicht bei Petronius 1926.