Mailand war im 19. Jahrhundert Teil einer florierenden italienischen Schirmindustrie mit rund 100 Betrieben im ganzen Land. Novara galt als das traditionelle Zentrum der Branche, doch auch in der lombardischen Metropole waren zahlreiche Hersteller ansässig. Vor 30 Jahren waren es noch zehn, heute gibt es dort nur noch die Fabbrica Ombrelli Magli. Sie wird seit 2019 in der 6. Generation von Francesco Maglia geleitet, dem Neffen von Francesco „Chino“ Maglia.
Sein Onkel war jahrzehntelang das Gesicht der Marke. Der hochgewachsene Mailänder, der mit seinem Bart entfernt an den Komponisten Giuseppe Verdi erinnert, betreut inzwischen nur noch ausgewählte Kunden. Sein Neffe Francesco hat die Schirmmacherei aber genauso im Blut, schon als Zwölfjähriger hat er vor 30 Jahren begonnen, das Handwerk seiner Familie zu erlernen.
Für Francesco Maglia ist Nachhaltigkeit ein wichtiger Schwerpunkt, deshalb will er seine Schirme noch haltbarer machen. Dafür setzt er auf Stoffe, die am Comer See gewebt werden, also in der Region und nicht in Asien. Die sorgfältig ausgewählten Hölzer für die Stöcke und die Griffe stammen ausschließlich von Freilandgehölzen in Europa. Und die Metallteile sorgen durch präzise Fertigung für Leichtgängigkeit, lange Lebensdauer und das ansprechende Äußere der Schirme bis in das kleinste Detail.
Die Materialien sind nur die eine Seite, die andere ist die Handarbeit. Beides zusammen macht den Unterschied zum billigen Schirm aus chinesischer Massenproduktion aus. Wobei die keine wirkliche Konkurrenz für die Schirme aus Mailand sind. Wettbewerber sind hochwertige Schirme aus Europa, z. B. Brigg in England, Pasotti in Neapel oder Doppler in Österreich. Gegen diese Mitbewerber kämpft Maglia vor allem mit dem hohen Maß an Handarbeit und der Vielfalt und Originalität der Stoffauswahl an. Und natürlich ist der englische Hauptkonkurrent, der alle Mitbewerber an Prestige überragt, durch den EU-Austritt der Briten noch teurer geworden.
Die Herstellung eines Schirms bei Maglia ist zeitaufwändig. Doch selbst wenn die Schließung der Manufakur für die Ferien im August ansteht, kann der Chef die Abläufe nicht beschleunigen. Zunächst wird der Bezugstoff ausgewählt. Die Auswahl ist umfangreich, sie enthält neben dem traditionellen Schwarz diverse Farben und Dessins: Nadelstreifen, Glenchecks, Tartans, Hahnentritt, Fischgrat aus Baumwolle, Polyester, Polyamid Mischgeweben. Danach folgt der Zuschnitt: In aller Ruhe rollt eine Schirmmacherin die Stoffbahn aus, überträgt darauf das Schnittmuster und schneidet dann jedes Segment des Bezugs einzeln aus.
Währenddessen sucht ein Arbeiter die dazugehörigen Stöcke zusammen. Sie lagern getrennt in einem Raum mit optimaler Luftfeuchtigkeit und Temperatur. Das Stocklager ist die Schatzkammer der Manufaktur. Die Hölzer stammen aus Italien und Deutschland. Ahorn, Walnuss und Apfel beispielsweise aus Bad Sooden-Allendorf im Hessischen. Auf die Stöcke werden nun die Gestänge montiert und Griffstücke verleimt. Ein paar Meter weiter sitzt die Kollegin, die mit Nadel und Faden den Bezug mit dem Gestänge verbindet. Insgesamt liegen 70 Arbeitsgänge zwischen Zuschnitt und Endkontrolle.Die bei der Produktion abfallenden Reststücke der Stoffe, die zu klein sind, um sie zu Schirmen zu verarbeiten, werden jetzt zu Taschen und Hüten verarbeitet. Auch das eine Idee des neuen Chefs.
Bedeutender für das Gesamtergebnis sind zwei andere Neuerungen, die er eingeführt hat: Der Online-Shop, der 2020 eröffnet wurde. Und der Bespoke-Service für Endverbraucher. Mittlerweile kommen jeden Tag Kunden aus aller Welt in die Manufaktur, auch bei unserem Besuch bestellten Schirmfans Bespoke-Regendächer. Die Besucher stammen buchstäblich aus aller Welt, erklärt Francesco Maglia, in über 40 Ländern sind sie zu Hause. Und laufen dort mit den Schirmen aus Mailand herum. Ein sichtbares Statement für Stil und Nachhaltigkeit. Nicht nur bei Regen, denn natürlich fertigt Maglia auch Sonnenschirme.