Den auf Männertrachten spezialisierten Konfektionär Lorenz Ganter haben wir bereits als Hersteller meines grünen Leinenjankers vorgestellt. Im Januar 2024 hatte ich endlich Gelegenheit, den Betrieb, der in Ismaning bei München ansässig ist, zu besuchen.
Ich bin mit der S-Bahn aus Richtung Innenstadt angekommen. Von der S-Bahn-Haltestelle geht man 10 bis 15 Minuten zu Fuß. Es war ein grauer und kalter Tag, dennoch war zu sehen, dass Ismaning ein hübsches Städtchen ist. Auf mich als Norddeutschen wirkte es sehr bayerisch, also aufgeräumt und gemütlich. Es gibt ein Schloss, einen Schlosspark, mehrere Kirchen und erstaunlich viele, sehr einladend aussehende Gastwirtschaften und Hotels. Der Betrieb liegt, fast ein wenig versteckt, in einem Wohngebiet.
Erst wenn man vor dem Haus mit der gesuchten Nummer steht, ist er an einem kleinen Schild als solcher erkennbar. Da ich einen Termin mit dem Inhaber hatte, ging ich nach kurzem Anklopfen hinein. Im Büro traf ich zunächst auf Brigitta Ganter, Schwiegertochter des Firmengründers Lorenz Ganter und Mutter des aktuellen Chefs Dieter Ganter. Dieter Ganter war gerade in der Schneiderei, er stieß nach wenigen Minuten dazu.
Dieter Ganter führte mich in die im rückwärtigen Teil des Flachdachbaus gelegene Werkstatt, in der vier der sechs Mitarbeiterinnen ihrer Arbeit nachgingen. Drei saßen an ihren Nähmaschinen, eine Mitarbeiterin schnitt an einem großen Arbeitstisch Stoff zu. Die Musik aus dem Radio mischte sich mit dem Geräusch der Nähmaschinen. Während ich Fotos machte, erzählte Dieter Ganter die Geschichte des Familienunternehmens.



Großvater Lorenz Ganter hatte in Niederbayern den Beruf des Herrenschneiders erlernt, danach arbeitete er in der Produktion von Lodenfrey in München. Lodenfrey ist heute ein Modehaus, ursprünglich aber eine mitten in München ansässige, auf Loden spezialisierte Weberei. Der wasserdicht imprägnierte Strichloden ist eine Erfindung von Lodenfrey, er war ein weltweiter Exporterfolg. Der gereimte Werbeslogan „Das Wetter ist mir einerlei, mein Mantel ist von Lodenfrey“ war damals vielen Deutschen geläufig. Ende der 1920er Jahre hatte Lodenfrey damit begonnen, in München Lodenmäntel selbst herzustellen, in diesem Betrieb arbeitete Lorenz Ganter.



Er kündigte 1936 bei Lodenfrey und gründete eine eigene Schneiderei. Die Selbstständigkeit war nur von kurzer Dauer, denn ein gutes Angebot lockte ihn nach Sachsen. Dort wurde er Produktionsleiter in einem Konfektionsbetrieb. Sachsen war damals ein wichtiger Standort der Textilindustrie. Am Ende des Krieges war Sachsen zunächst von der US-Armee besetzt, die Siegermächte hatten sich aber bereits 1944 darauf geeinigt, dass Sachsen, Thüringen, Anhalt und die preußische Provinz Anhalt, das heutige Sachsen-Anhalt, Teil der russischen Besatzungszone werden sollten. Darauf hatten die Alliierten sich 1945 auch noch einmal bei der Konferenz in Jalta verständigt. Die Bevölkerung erfuhr davon aber erst gerüchteweise im Juni 1945. Viele Betriebe verlagerten ihre Produktion daraufhin nach Westen, in Bayern siedelten sich besonders viele Unternehmen an.



Auch Lorenz Ganter ging zurück in die Heimat und kam bei den Schwiegereltern in Ismaning unter. In deren Waschküche begann er 1946 der Arbeit. Da es am Ort ein halbes Dutzend anderer Schneidereien gab, war der neue Betrieb nicht gerade willkommen. Aber Lorenz Ganter blieb hartnäckig und machte weiter. Aus Uniformstoffen begann er Kleidung zu nähen. Farblich boten sich dafür Trachten und Mäntel an. Auf einem Schwarz-Weiß-Foto im Büro sieht man das schlichte Gebäude, in dem alles begonnen hat. An diesem Standort ist Lorenz Ganter bis heute geblieben. Nur etwas größer sind die Räume geworden. Bis in die 1970er Jahre gab es noch viele Aufträge von Kunden aus dem Inland. Damals war es noch üblich, dass z. B. Versandhäuser bei Lieferanten im Inland nähen ließen. Dieter Ganter, er ist Jahrgang 1968, hat als Kind noch gesehen, wie Mäntel im großen Stil zugeschnitten und genäht wurden.



In den 1980er Jahren wurde immer weniger Konfektion in Deutschland genäht, mehr und mehr Betriebe verlagerten ihre Fabriken ins Ausland, z. B. Südeuropa oder nach Nordafrika. Dieter Ganters Vater steuerte deshalb um spezialisierte sich auf kleinere Auftraggeber. Sein Motto lautete „wenn man teurer ist, muss man flexibler sein“. Lorenz Ganter machte nicht mehr die großen Mengen, dafür bot er aber hohe Qualität und individuellen Service. Ende der 1980er öffnete sich der Betrieb für den Endverbraucher und nahm Einzelbestellungen an. Mittlerweile machen die etwa 50 Prozent des Geschäfts aus. Außerdem werden auch zahlreiche Trachten- und Musikverein beliefert. Die bekommen ihre Ausstattung grundsätzlich zwar in Konfektionsgrößen, die werden aber, weil es sonst einfach nicht passen würde, in sehr vielen Fällen individualisiert.



„Wenn die Größe 60 nicht ausreicht, dann machen wir eben einen individuellen Schnitt“, erklärt Dieter Ganter. Er hat Herrenschneider gelernt, für ihn ist es also kein Problem, die Passform zu perfektionieren. Dennoch grenzt er sich klar von der traditionellen Herrenschneiderei ab, bei ihm wird aus Überzeugung industriell verarbeitet. „Wir pikieren die Einlagen nicht und wir machen auch keine Handknopflöcher.“ Die Paspelknopflöcher, bei Trachtenjacken gern genommen, macht der Maßschneider allerdings auch nicht anders. Dieter Ganter ist überzeugt von der Qualität, die er bietet. „Die Einlagen, die wir verwenden, sind z. B. sehr weich.“ Das ist vor allem bei Teilen aus Sommerstoffen auch zu spüren, sie sind sehr leicht und weich verarbeitet. Und bei schweren Lodenstoffen merkt man den Unterschied ohnehin nicht. Auf einer Büste ist eine Art Schnürmieder zu sehen. Fertigt Lorenz Ganter auch Dirndl? „Da gibt es genügend Spezialisten, mit denen wollen wir nicht in Wettbewerb treten“, antwortet Dieter Ganter. Dennoch ist die Damenmode ein sehr lohnender Bereich, räumt er ein. „Wir experimentieren da gerade mit ein paar Modellen.“ Janker, Joppen und Mäntel liefert Lorenz Ganter ohnehin für Damen. Wobei Mäntel lange Zeit nur selten von Kunden bestellt wurden. Die Muster, die auf einer Stange hängen, zeigen aber, dass Lorenz Ganter viel Erfahrung in dieser Sparte hat. „Früher haben wir sehr viele Mäntel gemacht, dann eine ganze Weile nur sehr wenig. In letzter Zeit haben wir dafür wieder vermehrt Anfragen.“



Im Lager liegt eine große Auswahl an Stoffen bereit. Loden stammt überwiegend von Mehler in Tirschenreuth, Deutschlands ältester Tuchfabrik. Aus Österreich kommen die Lodenstoffe von Leichtfried und Steiner. Im Lager gibt es auch schottischen Tweed und verschiedene Kammgarnstoffe, z. B. für Hosen. Samt ist sehr wichtig bei Lorenz Ganter, deshalb liegt er in 28 verschiedenen Farben am Lager. Den Loden gibt es übrigens auch nicht nur in Grün, Braun oder Grau. Vor allem in Frankreich schätzt man die Mode im Trachtenstil in auffälligen Farben. Tatsächlich ist Frankreich ein Exportmarkt für Lorenz Ganter, zuständig dafür ist „Lorenz Ganter France“. Den Vertrieb macht ein Franzose, der 4 bis 5 Mal im Jahr Frankreich bereist. Ansonsten verkauft Lorenz Ganter überwiegend nach Deutschland.



Die meisten Kunden sind Einzelhändler, darunter einige sehr bekannte Adressen. Namen werden aus Diskretion nicht verraten. Auch die speziellen Schnitte und Ausstattungsdetails, die Lorenz Ganter für diese Kunden liefert, bleiben exklusiv. „Man kann also nicht kommen und sagen, machen Sie mir bitte den Janker, wie ihn das Modehaus X von Ihnen bekommt“, betont Dieter Ganter. Endverbraucher können direkt in Ismaning von der Stange kaufen. Der Laden hat kein Schaufenster, wer die Adresse aber kennt und den Abstecher nach Ismaning macht, findet eine große Auswahl vor. Und wenn nicht das Passende oder Gewünschte dabei ist, dann wird eben eine Einzelbestellung aufgenommen. Ich selbst hatte bei meinem Besuch eine Länge Jägerleinen von Leichtfried in Österreich dabei. Über den Anzug, den Lorenz Ganter daraus für mich fertigt, berichten wir in Teil 2 des Berichts. Besonders beeindruckt haben mich die Qualität der Verarbeitung, die Vielfalt der Modellformen und die Individualisierungsmöglichkeiten. Da jedes Teil einzeln von Hand zugeschnitten und in dem Sinne auch von Hand genäht wird, dass keine Stanzen oder Automaten eingesetzt werden, können Sonderwünsche in jeder Phase berücksichtigt werden. Die Schnittmuster beruhen zwar auf Konfektionsgrößen, können aber problemlos abgeändert werden. Überraschend groß ist auch die Auswahl an Stangenware, die in dem Laden, der im gleiche Gebäude liegt, verkauft wird. Natürlich können die Konfektionsteile auch noch geändert werden, die Schneiderei liegt ja gleich nebenan. Ein Besuch bei Lorenz Ganter lohnt sich also auf jeden Fall, wenn man sich Kleidung im Trachtenstil interessiert.





