Besuch bei Ludwig Reiter, Teil 2 —
Einzelbestellung aka Privatanfertigung

Die Schuhmanufaktur Ludwig Reiter fertigt Konfektion, es gibt also keine Maßanfertigung in dem Sinne, dass Schuhe auf individualisierten Leisten gebaut werden. Sehr wohl gibt es aber die Möglichkeit, sich einen Konfektionsschuh einzeln anfertigen zu lassen. In England und den USA heißt diese Option „made to order“. Bei Ludwig Reiter nennt sie sich Privatanfertigung. Ich interpretiere dieses Wort so, dass hier ein Schuh auf Bestellung einer Privatperson gefertigt wird. Im Gegensatz zu den Sonderbestellungen, die Händlern für ihr Geschäft ordern. So ist es übliche Praxis, dass ein Händler, eine gewisse Mindestmenge vorausgesetzt, für sein Geschäft Modelle aus dem Programm von Ludwig Reiter aus Ledersorten oder mit speziellen Ausstattungsdetails machen lässt. Manche lassen sich dann auch noch einen eigenen Prägestempel anfertigen, mit dem dann, neben dem Markennamen von Ludwig Reiter, auch noch der Name des Händlers, einer Marke oder eines Designers im Schuh vermerkt. In der Manufaktur habe ich einige solcher Stempel gesehen, z. B. für die Schuhe, die für den deutschen Konfektionär Windsor entstehen. Ob man als Privatperson seinen Namen in das Futter prägen lassen kann, weiß ich nicht. Und ich muss auch gestehen, dass ich nicht danach gefragt habe.

Wer die Privatanfertigung bestellen möchte, muss eines der Ludwig-Reiter-Schuhgeschäfte aufsuchen. Es geht also nicht bei Schuhgeschäften, die Ludwig Reiter führen. Und auch nicht online. Die Adressen der Ludwig-Reiter-Geschäfte findet man auf der Webseite der österreichischen Manufaktur. Ich habe die Privatanfertigung als Abschluss des Manufakturrundgangs im Fabriksverkauf auf Gut Süßenbrunn bestellt (in Österreich heißt es tatsächlich Fabriksverkauf, nicht Fabrikverkauf). Dabei genoss ich das besondere Privileg, dass mir Till Reiter dabei persönlich zur Seite stand. Der Fabriksverkauf hat von Montag bis Freitag geöffnet, die genauen Zeiten finden sich ebenfalls auf der Webseite. Dieses Geschäft dient vor allem dazu, Einzelpaare und Sondermodelle an Mann oder Frau zu bringen, man kann dort aber auch, wie in jedem Ludwig-Reiter-Geschäft, die Privatanfertigung konfigurieren. Dieses Verb, das gern im Zusammenhang mit dem Kauf von Autos verwendet wird, passt gut auf den Bestellvorgang.

Zu Beginn wird es in aller Regel darum gehen, den richtigen Leisten in der passenden Längen- und Breitengröße zu finden. Es sei denn, dass Leistenform und seine Größe bekannt sind. Was bei vielen Kunden sicherlich der Fall ist. Da ich zuletzt im Jahre 1990 oder 1992 ein Paar Schuhe von Ludwig Reiter gekauft habe, war es unbedingt erforderlich, zunächst Leistenform und Größe herauszufinden. Für Herren stehen für rahmengenähte Modelle mehrere Leisten zur Auswahl, sie heißen z. B. Engländer, Wiener, Salzburger, Toskaner, Ungarischer. Mir gefällt der letztgenannte Leisten am besten. Er ist nicht so langgezogen und schmal, die Vorderkappe, die ein wenig an die Form eines Schiffsbugs erinnert, bietet den Zehen viel Raum. Ich mochte diese Form immer schon, habe aber erst vor wenigen Jahren angefangen, Schuh in dieser Form zu tragen. Für mich stand also fest, dass es dieser Leisten sein sollte.

Beim Modell hatte ich mich innerlich auf den Norweger festgelegt, er ist für mich, trotz des skandinavisch klingenden Namens, der Inbegriff des Wiener Schuhs. Ich kenne keine Stadt, in der ich, vor allem im Herbst und im Winter, so viele Herren in Norweger-Schuhe sehe. Meistens aus braunem oder schwarzem Scotchgrain-Leder, häufig auch in Weinrot, seltener in Grün oder Blau. Bei der Leistenform sollte es der „Ungarische“ sein. Er ist etwas kürzer, die Zehenkappe ist höher und erinnert im Profil an einen Schiffsbug. Durch die Form wirkt der Schuh etwas kürzer. Es gibt den Norweger auch auf schlankeren Leisten, z. B. dem Salzburger, ich wollte aber die andere Leistenform probieren. Bei der Größe tippte ich auf 42, im Fabriksverkauf gab es das Modell aus schwarzem Scotchgrain in F- Weite. Ich bevorzuge seit etwa zwei Jahren einen etwas breiterenLeisten, also meistens nicht mehr F, eher G. Bei manchen Herstellern sogar H. Insofern war ich gespannt, wie F passen würde. Sie erwies sich als sehr gut und auch die Proportionen gefielen mir an. Am rechten Fuß drückte der Schuh ein wenig auf dem kleinen Zeh, ich nahm aber an, dass dies an der Steifheit des Scotchgrain-Leders lag. Till Reiter stimmte mir in dieser Einschätzung zu. Sicherheitshalber wollte ich den Leisten aber auch noch in der breiteren G-Weite antesten.

Als Norweger war er in dieser Breitengröße nicht im Fabriksverkauf lagernd, deshalb probierte ich einen Brogue in der gewünschten Passform. Er erwies sich als ein kleines bisschen zu weit und auch als zu voluminös. So blieb ich dann bei Größe 42 in F. Allerdings empfahl mir Till Reiter, am linken Schuh den Rist etwas abzusenken. Mein linker Fuß ist ein paar Millimeter kürzer und am Rist einen Hauch dünner als der rechte Fuß. Dieser Unterschied ist an den bestrumpften Füßen nicht erkennbar, ich merke es aber daran, dass der rechte Schuh immer ein wenig enger sitzt und auch an der Schnürung, die rechts ein kleines bisschen weiter aufklafft. Die so genannte Ristabsenkung nimmt am Spann ein wenig Weite weg, indem man die Schnürung vorm Aufleisten nicht ganz schließt. So wird der Schaft etwas weiter um den Leisten herumgezogen. Wenn man den fertigen Schuh am am Fuß richtig zuschnürt, sitzt er dichter an dem schlankeren Fuß. Von dieser Methode hatte ich vorher noch nie etwas gehört, ich wollte sie aber gern probieren.

Beim Leder erwog ich kurz grünes Velours. Dann hörte ich aber auf die innere Stimme, die mich daran erinnerte, dass ich bereits ein Paar Schuhe in dieser Lederart besitze. Und da ich grüne Schuhe nicht so oft trage, würde ein weiteres grünes Paar nicht allzu oft zum Einsatz kommen. So entschied ich mich also für das, was ich am häufigsten trage: Braunes Rauleder. Für die Privatanfertigungen liegt ein dickes Bündel mit Lederproben bereit, das eigentlich eine umfassende Auswahl bietet. Da der Fabriksverkauf nur ein paar Schritte vom Lederlager entfernt liegt, wollte ich dort gern einen Blick auf die Lederstücke in den Regalen werfen. Zusammen mit Till Reiter ging es ins Lager und nach kurzer Suche stieß ich in einem der Regale auf ein braunes Rauleder namens „Velour marron“. Es erinnerte mich an das englische „Tobacco calf suede“, es war aber ein wenig heller und fasste sich auch samtiger an.

Zurück im Fabriksverkauf galt es noch, die Sohle auszusuchen. Auch dafür stehen einige Optionen zur Auswahl. Ich wollte eine wetterfeste, weiche und leichte Sohle. Die normale Vibram-Profilsohle ist relativ schwer, deshalb empfahl mit Till Reiter die „Ultralight-Sohle“. Sie ist aus schwarzem Gummi, das Profil ist etwas weniger tief und sie wirklich sehr leicht. Ich überlegte noch kurz, ob ich diese Sohle ohne Profil bestelle, bliebt dann aber bei der ersten Wahl. Sie schien mir passender zum ländlichen Charakter des Norwegers. Am Ende fasste Till Reiter die Bestellung dann auf einem Auftragsformular zusammen: „Modell 18, Norweger. Oberleder VNM Velours marron, Leisten AF ungar. Weite F. ES Ultralight-Sohle. 8 + Ristabsenkung.“ Als Bestätigung und zur Erinnerung bekam ich eine Durchschrift des Auftrags. Der Aufpreis für die Privatanfertigung beträgt bei einem Modell wie dem Norweger „ab 100 Euro“, wird mir erklärt. Aufwändigere Wünsche erhöhen den Preis des Aufschlags. Im Fall des Norwegers empfinde ich den Aufpreis als moderat, denn insgesamt liegt man mit einem Norweger von Ludwig Reiter preislich nicht im absoluten Spitzenbereich.

Die Lieferzeit für Privatanfertigungen wird auf der Webseite von Ludwig Reiter mit „wenigen Wochen“ angegeben. Ich war Ende Oktober in der Manufaktur zu Besuch, die Schuhe sollten noch vor Weihnachten fertig sein. Geliefert wurden Sie am 11. Dezember, also zur angekündigten Zeit. Sie kamen in dem dunkelblauen Ludwig-Reiter-Karton, zusammen mit dunkelblauen Schuhbeuteln aus Stoff. Als ich die Schuhe herausnahm, fiel mir sofort auf, wie leicht sie sind. Schuhe mit der Profilsohle von Vibram sind deutlich schwerer. Das Leder sah als fertiger Schuh etwas heller aus, als ich es in Erinnerung hatte. Die Verarbeitung sehr sorgfältig und sauber. Als ich die Schuhe dann anzog, passten sie sehr gut.

Das Leder war erwartungsgemäß weich und passte sich gut an den Fuß an. Die Ristabsenkung hatte auch funktioniert, der Schuh saß am schmaleren Fuß schön dicht am Rist. Die Ultralight-Sohle erwies sich als sehr weich im Auftritt. Noch am selben Tag begann ich damit, die Schuhe zu Hause einzutragen. Nach einem Vormittag zu Hause trug ich die Schuhe dann gleich einen halben Tag draußen. Das war kein Wagnis, da das Schaftleder gleich sehr gut passte und nirgendwo drückte. Vorher dem ersten Ausflug im Freien hatte ich die Schuhe gründlich mit Imprägnierspray behandelt. Danach trug ich die Schuhe gleich einen ganzen Tag lang und hatte keine Probleme. Die Privatanfertigung hat sich für mich gelohnt. Erstens, da ich ein Leder gewählt habe, das nicht in der Kollektion zu finden ist. Zweitens, weil ich bei der Einzelanfertigung die Passform durch die Ristabsenkung am linken Fuß optimieren konnte. Diese Verbesserung ist zwar nicht so gravierend, dass ich in Zukunft nicht auch mal einen Schuh auf dem von mir bevorzugten Leisten in Größe 42 F von der Stange kaufen würde. Grundsätzlich würde ich mich aber eher wieder für eine Privatanfertigung entscheiden, da ich meistens doch irgendeinen speziellen Wunsch habe. So schwebt mir schon jetzt ein Modell vor, das ich mir für den Sommer vorstellen könnte. Und das, was ich mir vorstelle, ist in der Kollektion nicht zu finden. Aber das ist eine andere Geschichte.