Maßhemden handgemacht —
Maison Siniscalchi in Mailand

Wir haben zuletzt im Dezember 2020 über den Mailänder Hemdenschneider Alessandro Siniscalchi berichtet und über meine Erfahrungen mit seiner Arbeit. Zwei Wochen nach meinem Besuch in seinem Atelier war das erste Hemd fertig geworden. In der Zwischenzeit bin ich Alessandro und seiner Frau Cinzia mehrmals begegnet. In Mailand beim Trofeo Arbiter, bei den letzten Besuchen der Pitti Uomo im Sommer 2023 und im Januar 2024, beim Kongress der World Federation of Master Tailors in Biella im August 2023 und, ein paar Monate vorher, bei unserer Reise nach Mailand. In der Zwischenzeit sind weitere Hemden entstanden. Dafür waren neuerliche Anproben nötig, da ich geringfügig zugenommen hatte. Die Anproben haben in großen Zeitabständen stattgefunden, da ich nicht so oft in Mailand war in den vergangenen Jahren.

Im Atelier und an der Arbeitsweise hat sich in dieser Zeit nichts verändert. Nach wie vor werden die Hemden im Atelier, das direkt neben dem Verkaufsraum liegt, genäht. Und immer noch ist bei Siniscalchi alles Handarbeit. Von den Nähten, die mit der Maschine gemacht werden, abgesehen. Und nach wie vor wird die Passform der Hemden bei Anproben optimiert.Es gibt Männer, die ausschließlich Anzüge vom Schneider tragen, die beim Hemd aber auf Konfektion oder Maßkonfektion zurückgreifen. Ich kenne alle drei Varianten aus eigener Erfahrung. Ich glaube, dass alle drei ihre Berechtigung haben. Dennoch bin ich ein Anhänger des traditionell geschneiderten Maßhemds, dessen Schnittmuster bei mindestens einer Anprobe getestet und anschließend verbessert wird. Ob dieses Hemd dann im Sinne der Hemdenschneiderei ganz oder teilweise von Hand genäht wird, ist für mich zweitrangig.

Entscheidend ist für mich die durch die Anprobe verbesserte Passform. Von Hand umsäumte Knopflöcher sind für mich eine Zugabe, sie stehen allerdings hinter dem richtigen Sitz des Hemds zurück. Alessandro Siniscalchi liefert das komplett händisch gemachte Hemd vom Handzuschnitt bis hin zum von Hand umsäumten Knopfloch. So hat er es bei seinem Vater gelernt und so macht er es bis heute auch selbst. Zur Handarbeit gehören für mich auch die Anproben hinzu. Denn sie sind keine reine Sichtprüfung, wie man sie von Anproben per Foto oder Video kennt, Alessandro Siniscalchi steckt das Hemd dabei ab. Das hat für ihn und den Kunden den Vorteil, dass der Effekt der Änderung gleich sichtbar und spürbar wird. Die Passform des Hemds hat aus Sicht des Kunden zwei Seiten.

Zum einen geht es bei der Passform darum, wie das Hemd aussieht, also am Körper sitzt. Zweitens darum, wie sich das Hemd am Körper anfühlt. Beides muss miteinander in Einklang gebracht werden. Ein Hemd, das glatt am Körper sitzt, kann den Träger einengen. Wenn es gar nicht einengt, könnte es wiederum zu weit sein. Alessandro Siniscalchi prüft deshalb bei der Anprobe zunächst, wie der Stoff fällt. Die Hemdbrust soll möglichst glatt fallen. Vor den Schultern dürften keine Falten entstehen, z. B. durch eine einseitig hängende Schulter. Über der Brust sollte sich der Stoff nicht in Querfalten legen. Auch an der Rückseite darf er nicht über den Schultern spannen oder Falten werfen unter den Schulterblättern.

Anschließend erfragt er beim Kunden, wie sich das Hemd anfühlt bei verschiedenen Armhaltungen, sowie im Stehen und beim Sitzen.Die sicht- und fühlbaren Passformprobleme, die ich geschildert habe, treten eigentlich nur bei schlecht sitzenden Konfektionshemden auf. Oder bei Hemden aus der Maßkonfektion, wenn der Schnitt nur geringfügig, also z. B. bei der Halsweite, der Ärmellänge und der Taillenweite angepasst worden ist. Bei einem Maßhemd, das traditionell geschneidert wird, wird man bei der Anprobe derlei Mängel dagegen selten sehen oder spüren. Denn Alessandro Siniscalchi konstruiert den Schnitt so, dass die Unregelmäßigkeiten der Figur sowie die Körperhaltung des Kunden so weit ausgeglichen werden, dass möglichst wenig Passformmängel auftreten. Dennoch treten sie, in abgeschwächter Form und manchmal für den Laien kaum erkennbar, immer noch auf. Aber dafür ist die Anprobe ja auch da.

Besonderen Augenmerk legt der Mailänder Hemdenmacher auf die Passform der Ärmel und der Manschette. Der Ärmel muss in jeder Position des Arms, lang genug sein. Wenn ich also den Arm anhebe, darf die Manschette nicht im Ärmel des Sakkos verschwinden. Sie soll sich möglichst dicht an das Handgelenk schmiegen, darf aber nicht so eng sein, dass sie sich beim Anheben des Arms nicht minimal bewegen kann. Maßkonfektion optimiert die Ärmellänge dadurch, dass der Ärmel länger oder kürzer gemacht wird. Alessandro Siniscalchi verändert dagegen den Schnitt des Ärmels dahingehend, dass er an seiner Rückseite mehr Länge hat. Dadurch hat der Arm in jeder Position Bewegungsfreiheit, an der Vorderseite des Ärmels liegt der Stoff dadurch aber glatt an und wirft bei herabhängendem Arm keine Falten über der Manschette. Alessandro und Cinzia Siniscalchi sind klassische Hemdenmacher, das bedeutet, dass sie neben dem Kernprodukt, Hemden und Blusen, auch noch weitere Kleidungsstücke liefern, die ähnlich wie Hemden hergestellt werden. Also Pyjamas und Nachthemden, Hemdjacken, Tropenhemden aller Art und Hemdkleider. Und seit zwei oder drei Jahren auch Hemdjacken im Stil eines ungefütterten Leichtsakkos. Alessandro Siniscalchi trug sie bei fast jedem unserer Zusammentreffen der letzten Jahre, sofern der Anlass nicht Abendgarderobe vorgeschrieben. Diese Hemdjacken werde wir bei unserem nächsten Bericht vorstellen.