Maßschuhanprobe bei Vivian Saskia Wittmer

Während der Pitti Uomo im Januar 2024 wurde ich von Pascal Zimmer eingeladen, bei der Anprobe seiner Maßschuhe von Vivian Saskia Wittmer zuzusehen.

Pascal Zimmer ist eine vielfältige Persönlichkeit. In Luxemburg betreibt er den Damen- und Herrenausstatter Basics and Bespoke. Das ist aber nur eine von vielen Aktivitäten des passionierten Reisenden und Bespoke-Enthusiasten.

Über die Einladung habe ich mich gefreut, da ich Pascal Zimmer 2023 während der Sommerausgabe der Pitti Uomo mit Vivian Saskia Wittmer bekannt gemacht habe. Dass er nach diesem Besuch erneut bei ihr war und ein Paar Schuhe bestellt hat, wusste ich nicht.

Eine Anprobe ist immer spannend. Für den Handwerker und den Kunden. Wir haben hier schon mehrmals über das Thema Maßschuhanprobe geschrieben. Die meisten Handwerker, die wir hier vorgestellt haben, machen eine Anprobe. Wie sie genau abläuft, ist dabei sehr unterschiedlich.

Die meisten Maßschuhmacher in Kontinentaleuropa sowie Schuhmacher aus Japan, Korea und China, machen für die Kunden einen Probierschuh als Passformtest. Britische Schuhmacher verzichten oftmals ganz auf die Anprobe, z B. John Lobb. Oder sie machen die Anprobe nicht mit einem Probierschuh, sie lassen den Kunden stattdessen den tatsächlichen Schuh probieren, bevor die Laufsohle aufgedoppelt wird. So z. B. bei George Cleverley. Auch Vivian Saskia Wittmer arbeitet so, getreu der Methode ihres Lehrmeister Benjamin Klemann.

Ich traf ein paar Minuten vor Pascal Zimmer in der Werkstatt ein. Es war noch früh am Morgen und Vivian Saskia Wittmer wusste noch nicht, dass ich bei der Anprobe dabei sein würde. Insofern sind die Bilder ungestellt. Ich durfte Zeuge eines sehr persönlichen Moments werden, wofür ich mich bei Kunde und Schuhmacherin bedanke.

Ich selbst habe schon mehrere Maßschuhanproben mitgemacht und bei einigen zugesehen. Trotzdem war ich gespannt, denn die Anprobe ist ein entscheidender Moment. Besonders dann, wenn es um das erste Paar Schuhe geht, das ein Kunde bestellt hat. Meistens entscheidet sich in diesen Minuten, ob dem ersten Paar weitere folgen werden, ob ein neuer Anhänger der Maßschuhidee gewonnen wird, oder ob sich jemand enttäuscht zurückzieht.

Pascal Zimmer hat einen Butterfly-Loafer bestellt, ein klassisch englisches Modell. Man bekommt es bei einigen Fabriken aus Northampton von der Stange, dann ist es aber meistens nicht so fein und eng anliegend geschnitten, wie die Ausführung nach Maß. Der Konfektionsschuh ist in aller Regel etwa weiter, um mehr Füßen zu passen.

Nachdem Pascal Zimmer die Jacke seines maßgefertigten Tweedanzugs abgelegt hatte nahm er Platz und zog seine Schnürstiefeletten aus. Dann brachte die Schuhmacherin die rostbraunen Schlupfschuhe. Das Leder sah noch sehr neu aus, es wurde noch nicht mit Wachspaste auf Hochglanz gebracht. Der Rahmen steht noch weit über, da er erst nach dem Aufdoppeln der Laufsohlen in Form geschnitten und abgeschliffen wird. Für die Anprobe hat Vivian Saskia Wittmer provisorische Laufsohlen sowie Korkabsätze angebracht.

Pascal Zimmer betrachtete die Schuhe von außen und war zufrieden. Seinem Gesichtsausdruck war anzusehen, dass er diese nicht nur gesagt hat. Erste Hürde genommen. Nun schlüpfte er in die Schuhe hinein, verweilt einen Augenblick im Sitzen, stand dann auf. Sekunden des Schweigens und Wartens, dann zufriedenes Nicken und Lächeln. Entspannung auf beiden Seiten. Deutlich lockerer ging es nun weiter, Kunde und Handwerkerin kamen ins Plaudern. Pascal Zimmer ging auf und ab, federte mit den Füßen in den Schuhen, hob die Hosenbeine an, um die Loafer noch besser sehen zu können. Dabei schilderte er seine Eindrücke: Sehr bequem. Sehr leicht. Sehr flexibel.

Die Anprobe beim Maßschuhmacher erfüllt zwei Aufgaben. Sie soll dem Kunden auf halber Strecke Zutrauen geben. Vor allem beim ersten Paar. Und der Handwerker kann überprüfen, wo der Leisten eventuell noch abgeändert werden muss. Fehlschläge sind selten, das berichten alle Maßschuhmacher. Meistens geht es um Änderungen im Detail. Das meiste wäre auch am fertigen Schuh machbar, z. B. der Wunsch nach mehr Platz für einen Zeh. Der ist in aller Regel durch leichtes Dehnen des Schafts an der betreffenden Stelle zu schaffen. Schlimmer ist es, wenn die Gesamtlänge nicht stimmt oder der Schaft viel zu eng sitzt. Einem zu weiten Schaft kann durch eine etwas dickere Innensohle, die auf die Brandsohle gelegt wird, abgeholfen werden. Alternativ ist es möglich, den Schaft noch einmal über den Leisten zu ziehen. Das ist jedoch aufwändiger und es kann die Gesamtproportionen des Schuhs verändern. 

Die Anprobe der Butterfly-Loafers von Pascal Zimmer stellt dagegen den Normalfall bei Vivian Saskia Wittmer dar. Der Kunde sieht den Schuh, ist zufrieden mit dem Aussehen. Dann schlüpft er hinein und hat nichts oder nur wenig an der Passform auszusetzen. Je erfahrener der Kunde, desto besser übrigens für den Handwerker. Unerfahrene Kunden wissen nicht, was sie anmerken müssen und was nicht. Deswegen suchen sie manchmal geradezu nach etwas, was sie bemängeln können. Oder sie denken, dass sie etwas sagen müssen, um den Prozess komplett zu machen. Das ist natürlich nicht wahr. In der Regel kann der Schuhmacher auf Basis seiner Messungen und Beobachtungen einen Leisten bauen, der für den Kunden subjektiv angenehm am Fuß ist. Vor allem dann, wenn man vorher über Wünsche und Empfindlichkeiten gesprochen hat.

Im Fall von Pascal Zimmers Butterfly-Loafern war die Anprobe ein Erfolg, die Schuhe werden nun fertiggestellt. Ob sie nach Luxemburg verschickt oder vom Kunden abgeholt werden, stand im Januar nicht fest. Die fertigen Schuhe werden wir aber auf jeden Fall hier zeigen.