Die österreichische Schuhmarke Handmacher stellt Schuhe nach holzgenagelter Machart in Einzelanfertigung her. Es gibt keine Fertigware, jedes Paar wird auf Bestellung gebaut. Und der Kunde kann alle Details individuell bestimmen: Ledersorte, Sohlenart, Ausputz. Beim Leder stehen etwa 60 verschiedene Varianten zur Auswahl. Bei Schuhmodellen, deren Schaft aus mehreren Schnittteilen besteht, z. B. ein Budapester-Derby mit Flügelkappen, kann man mehrere Ledersorten auswählen (z. B. weißes Quartier und braune Kappen). Aus dem Wunschleder liefert Handmacher auch Gürtel in zwei Varianten und sogar Uhrenarmbänder.
Für die Sohlen stehen, je nach Serie, bis zu 8 Optionen zur Auswahl, von der einfachen oder doppelten Sohle aus altgrubengegerbtem Leder bis zur leichten Vibramsohle. Die Gummisohlen werden auf die holzgenagelte Zwischensohle aus Leder geklebt, bei den Lederlaufsohlen sieht man die Holznagelung. Die Ledersohlen kann man mit Gummispitze liefern lassen, möglich ist natürlich auch die klassische Spitze aus Messing. Beim Ausputz, also dem Finish des Rahmens und der Ränder von Absatz und Ledersohle, kann man zwischen „natur“, also ungefärbt, und verschiedenen Farben wählen. Obendrein kann gegen einen kleinen Aufpreis ein so genanntes „Unpaar“ bestellt werden, also unterschiedliche Längen- oder Breitengrößen für die beiden Füße. Wer Einlagen trägt, kann dafür die Schuhe höher bauen lassen. Für einen hohen Spann gibt es die Option der Risterhöhung.
Es gibt bei Handmacher mehrere Serien, sie heißen „Klassik“, „Freizeit“, „Slipper“, Carre“, „Stiefel“,„Primus“, „Trend“ und, „Sport“. Außerdem sind Damenmodelle im Angebot. Bei letzteren stehen verschiedene Halbschuhe und Stiefeletten zur Auswahl. Unter „Klassik“ sind typisch österreichische Modelle zu finden, z. B. Derbys (mit Kappe, Flügelkappe oder glattem Vorderteil), mehrere Norweger-Varianten, eine Art „One piece“ und zwei Haferlschuh-Modelle. „Klassik“ ist die Serie, mit der Handmacher am stärksten identifiziert wird. Für diese Serien stehen 8 Sohlenvarianten zur Auswahl.
Die Grundmodelle können stark variiert werden, so gibt es die Derbys auch mit geflochtenem Leder oder mit Lochung für den Sommer. Die Slipper gibt es mit zwei Varianten der Norwegernaht, außerdem gibt es eine Monkstrap-Sandale sowie mehrere Stiefeletten. Für Freunde der Carré-Form gibt es die gleichnamigen Modelle als Derby in mehreren Varianten. Noch hochwertiger in der Ausstattung ist die Primus-Serie, die man in vier Boxcalf-Ledersorten sowie aus Cordovan ordern kann. Den Trend zum Casual-Schuh bedient die Serie „Sport“, modischere Schuhmodelle mit längerem Carré-Leisten finden sich bei „Trend“.
Probiert habe ich bisher nur die Serie „Klassik“. Sie bietet viele Variationsmöglichkeiten, wer diesen Leisten mag, kann sich eine umfangreiche Schuhgarderobe zusammenstellen. Es gibt die Längengrößen in halben Schritten in den Größen 5 bis 13 und in den Breitengrößen F, G und H. Die Damenschuhe gehen von Größe 3 bis 8, hier stehen die Breitengrößen D und E zur Verfügung. Die Serie „Primus“ gibt es in den Größen 6 bis 12 und sogar in den vier Breitengrößen E, F, G und H.
Da man für beide Füße unterschiedliche Längen- und Breitengrößen ordern kann, werden alle Kunden, die aufgrund unterschiedlich großer Füße bei der Konfektion nie zufrieden sein können, mit Handmacher gut bedient. Sie bekommen dann zwar noch keinen Maßschuh im traditionellen Sinne, also auf einem eigenes für sie gebauten Leisten. Gleichwohl kann man mit einem „Unpaar“ ein sehr hohes Maß an Individualisierung erreichen. Vorausgesetzt natürlich, dass der Verkäufer die Füße genau vermisst und das Passformproblem erkennt.
Ich habe vor ein paar Jahren bereits einmal ein Paar Norweger aus weinrotem Scotchgrain-Leder bei Handmacher geordert. Damals über den deutschen Vertreter der Manufaktur. Inzwischen ist der im Ruhestand. So wendete ich mich an seinen Nachfolger Mark Heubel, Inhaber der Düsseldorf Modeagentur Heubel, als ich dort erneut Schuhe bestellen wollte. Mark Heubel riet mir, die Schuhe dieses Mal in einem Schuhgeschäft in Auftrag zu geben, um noch besser beraten zu werden. In meiner Region empfahl er mir die Schuhmacherei Pöschk in Berlin-Charlottenburg.
Die Schuhmacherei Pöschk liegt in der Goethestraße, etwa 10 Gehminuten vom S-Bahnhof Savignyplatz entfernt, 20 Minuten vom Bahnhof Zoo. Die Werkstatt ist in einem historischen Ladengeschäft in einem der für Charlottenburg typischen Altbauten angesiedelt. Durch das Schaufenster blickt man in den Verkaufsraum, der das vertraute Ambiente einer klassischen Schuhmacherwerkstatt bietet. Im Schaufenster weist die Dekoration schon auf Handmacher hin. Im Laden erwarteten uns Gründer und Inhaber Stephan Pöschk mit seiner Frau Antje, einer gelernten Goldschmiedin, und Sohn Oscar, der die Ausbildung zum Orthopädieschuhmacher beendet hat und nun beim Vater mitarbeitet.
Stephan Pöschk hat sein Geschäft am 1. November 1989 eröffnet, also etwa eine Woche vor der Maueröffnung am 9. November des Jahres. Nach der Lehre beim Berliner Obermeister der Schuhmacherinnung hatte Stephan Pöschk in einem Reitsportgeschäft gearbeitet. Durch seine Ausbildung war er mit der Herstellung und Reparatur rahmengenähter Schuhe vertraut, deshalb spezialisierte er sich in seiner Werkstatt auf die Instandsetzung hochwertigen Schuhwerks. Das sprach sich herum in Charlottenburg, einem Stadtteil Berlins mit hohem Anteil klassisch beschuhter Herren. Auch ein bekanntes Schuhgeschäft am Kurfürstendamm vertraut seine Reparaturen und Änderungen seit vielen Jahren Stephan Pöschk an. Sehr häufig geht es um das Weiten von Schuhen, erklärt der Schuhmacher. „Gerade heute wieder, wo die Leisten gerade sehr schmal und lang sind“. In der Schuhmacherei Pöschk werden aber auch alle anderen Reparaturarbeiten angeboten. Sehr häufig geht es um Absätze und neue Sohlen für rahmengenähte Schuhe.
Seit 25 Jahren bietet Stephan Pöschk zusätzlich zu den Reparaturen und die Schuhe von Handmacher an. Wichtig war ihm dabei von Anfang an, dass der Kunde vorab alle Leistenformen in jeder Längen- und Breitengröße anprobieren kann. Auf dieser Basis wird dann die Passform bei Bedarf noch durch die weiteren Möglichkeiten optimiert. Und wenn das alles nicht ausreicht, kann Stephan Pöschk den fertigen Schuh in seiner Werkstatt weiter bearbeiten. Was allerdings selten nötig ist. Denn in der Regel findet sich beim Anprobieren der Leistenformen in den verschiedenen Größen schon die bestmögliche Passform.
Das erste Paar Schuhe von Handmacher hatte ich bei einem Treffen in einem Münchener Hotel ohne Anprobe konfiguriert. Nun war ich gespannt, wie es bei Stephan Pöschk ablaufen würde. Seit dem ersten Paar von Handmacher bin ich bei der Passform von Schuhen noch sensibler. Meine Füße sind vorn ein wenig breiter geworden, weil ich ihnen am den Zehen seit etwa 2 Jahren mehr Raum gebe durch breitere Leisten. Außerdem trage ich beim Laufsport breitere und asymmetrisch geformte Schuhe. Am rechten Fuß muss ich besonders auf den kleinen Zeh Rücksicht nehmen, der ein wenig absteht. Früher habe ich die Füße in wesentlich schmalere Schuhe gezwängt, ich hatte damals ein anderes Empfinden von Bequemlichkeit.
Stephan Pöschk begann damit, dass er meine Füße vermessen hat. Bei der Länge ergab sich auf beiden Seiten eine 7. Das war auch die Größe des ersten Paars. Bei der Breite ließ er mich aber die G probieren. Am linken Fuß erwies sich diese Breitengrößen als zu groß vom Ballenumfang und am Rist, was Stephan Pöschk sofort an der zu eng zusammengezogenen Schnürung ablesen konnte. Am rechten Fuß saß der breitere Schuh aber sehr gut. Der rechte Fuß ist ein wenig länger, aber nur so viel, dass er auch die 7 braucht. Für etwas mehr Platz am kleinen Zeh ist der etwas größere Umfang am Ballen aber optimal. Der Unterschied zwischen F und G beträgt bei Ballen und Rist 0,6 cm, sie machen den entscheidenden Unterschied. Ich machte auch zur Sicherheit nochmal die Gegenprobe mit dem schmaleren Modell für den rechten Fuß, das drückte aber am kleinen Zeh und auch am Ballen.
Stephan Pöschk erklärte das alles nicht wortreich, er lässt stattdessen die Schuhe sprechen. Am Ende ist der Kunde an der Reihe: „Ich lasse den Kunden entscheiden“. Für ihn ist dies die beste Verkaufsmethode, deshalb hat er gleich am Anfang die Schuhe in allen Längen- und Breitengrößen zum Probieren beim Handmacher gekauft. Er hat nicht jedes Modell in allen Größen da, doch das macht nichts. Ich habe z. B. einen Derby mit Zehenkappe aus schwarzem Kalbsleder probiert, die Passform war beim später gelieferten Schuh, einem Norweger, nicht anders. Es hat keine 10 Minuten gedauert, bis die Passform gefunden war. Ohne die Probe der verschieden Schuhbreiten wäre ich nie zu diesem Ergebnis gekommen.
Beim Modell schwankte ich kurz zwischen einem schwarzen Derby mit Zehenkappe, wie ich ihn probiert hatte, und dem Norweger, der mir eigentlich vorgeschwebt hatte. Dann blieb ich aber bei meiner ersten Idee, den schwarzen Derby habe ich mir vorgemerkt für später. Der Norweger ist in Österreich, speziell aber in Wien, ein sehr wichtiges und beliebtes Modell. Dementsprechend gibt es den Norweger in zahlreichen Detailvarianten. Ich entschied mich für die Ausführung mit „split toe“ und offenkantiger Verarbeitung. Beim Leder wollte ich nicht wieder Scotchgrain nehmen, obwohl ich es in dem Weinrot sehr mag. Scotchgrain ist mir mittlerweile einfach zu hart und es dauert zu lange, es einzulaufen. Deshalb sah ich mir verschiedene Fettleder und Rauleder in mehreren Brauntönen an. Stephan Pöschk empfahl mir dann das bei Handmacher neue Hirschleder, das es in zwei Farben gibt. Ich entschied mich für ein Grau-Olivgrün, wie man es von Lederhosen kennt. Vor meinem inneren Augen sah ich gleich verschiedene Kombinationsmöglichkeiten, z. B. mit Jägerleinen im Frühjahr, Loden und Kord im Herbst. Für die Sohle wählte ich die leichte, nicht zu tiefe Profilsohle aus Naturkautschuk, die ich bereits beim ersten Schuh genommen hatte.
Nach vier Wochen später bekam ich die Nachricht, dass die Schuhe eingetroffen sind. Dies ist die normale Lieferzeit, Expressbestellungen in 3 Wochen sind machbar. Tommi Aittala und ich machten uns erneut auf den Weg. Im Laden erwartete uns wieder die Familie Pöschk. Wir warteten einen Moment im hinteren Bereich des Ladens, da vorn noch ein Kunde bedient wurde. Auch beim ersten Besuch kamen immer wieder Kunden herein, die Schuhe bestellten oder abholten. Die Schuhmacherei Pöschk hat in 25 Jahren einen sehr großen Kundenstamm für Handmacher aufgebaut. Von jedem Kunden werden die Daten der Schuhe archiviert, mittlerweile natürlich digital. So können die Kunden aus der Ferne nachbestellen, per Telefon, E-Mail oder per Nachricht. Nach ein paar Minuten war ich an der Reihe.
Antje Pöschk brachte den Karton mit meinen Norwegern. Ich hatte von dem Leder nur die Probe in den dicken Bündel gesehen, nicht als vollständigen Schuh. Das Hirschleder gefiel mir noch besser als erwartet. Die offenen Kanten der sämisch gegerbten Haut bilden einen sehr spannenden Kontrast zum Grüngrau des sehr weichen, farblich nuancenreichen Hirschleders. Am beiden Füßen fühlten sich die Schuhe sehr gut an, meine Erwartung an die Passform des rechten, breiteren Schuhs, wurde nicht enttäuscht. Sichtbar ist der Unterschied bei der Breitengröße übrigens nichts. Es gibt das Vorurteil, dass der Boden holzgenagelter Schuhe wesentlich steifer als der von rahmengenähten Schuhen sei, diese Erfahrung habe ich nicht gemacht. Die Schuhe von Handmacher sind jedenfalls am Anfang nicht unflexibler als rahmengenähte Schuhe. Natürlich muss man sie auch einlaufen, je nach Ledersorte und Sohle dauert das mehr oder minder lang.
Auch die holzgenagelte Machart, die man bei Handmacher bekommt, ist übrigens rahmengenäht. Zuerst wird die Brandsohle von unten am am Leisten fixiert, dann wird eine Einballung aus Filz eingefügt, anschließend der Schaft um den Rahmen gezogen und unter der Brandsohle angezwickt. Als nächstes wird die Lederlaufsohle (oder eine lederne Zwischensohle im Fall von Schuhen mit Gummisohle) an den Rahmen mit Holznägeln befestigt. Beim fertigen Schuh sieht man den Rahmen mit der gestuppten Verzierung. Anders als beim rahmengenähten Schuh, ist in diesem Rahmen keine Doppelnaht erkennbar (da die Sohle ja von unten angenagelt wird). Die Holznägel werden zwar in die Brandsohle getrieben, sie enden aber an der Stahlunterseite des Leistens. Eventuell überstehende Holznägelreste werden von Hand mit einer Raspel geglättet, dann wird eine Lederdecksohle auf die Brandsohle geklebt.
Insgesamt sind 250 Arbeitsschritte nötig, bis ein Paar holzgenagelte Schuhe fertig ist. Die Preise liegen dennoch unter denen für Schuhe nach Goodyear-Methode in vergleichbarer Lederqualität. Modelle aus der Reihe „Klassik“ mit einfacher Ledersohle sind ab 330 Euro zu haben. „Primus“ beginnt bei 430 Euro (990 Euro für Cordovan), die Serie „Sport“ beginnt bei 285 Euro. Die Schuhe von Handmacher kann man über den Händler zur Reparatur ins Werk schicken lassen, ansonsten übernimmt die Schuhmacherei Pöschk alle Instandsetzungsarbeiten. Als wir in der Werkstatt waren, wurde z. B. gerade ein älteres Cordovan-Modell aus der Serie „Primus“ aufgearbeitet, das hinterher wieder auf Hochglanz war.
Der Begriff Maßschuh, den Handmacher in seinem Katalog verwendet, ist streng genommen nicht korrekt. Jedenfalls nicht nach der Definition des handwerklich arbeitenden Maßschuhmachers. Dennoch passt der Begriff. Wenn ein guter Verkäufer alle Möglichkeiten ausschöpft, die es für eine möglichst gute Passform gibt. Wenn, wie bei der Schuhmacherei Pöschk, alle Größen in Länge und Breite vorab probiert werden können, dann sollten die meisten Kunden, auch die mit unterschiedlich großen Füßen sowie Träger von Einlagen, Schuhe in sehr guter Passform bekommen. Natürlich hängt es auch davon ab, dass der Kunde seine Füße und seine Bedürfnisse kennt und mitteilen kann.
Nach meiner Erfahrung mit Maßschuhen vom Handwerker und mit Konfektion verschiedener Hersteller, empfinde ich das Angebot von Handmacher als sehr überzeugend. Natürlich bekommt man keinen individuellen Leisten, die vorhanden Formen können aber sehr passgenau ausgewählt werden. Was die Auswahl an Leder und Sohlen sowie den Ausputz betrifft, ist Handmacher meines Wissens nicht zu übertreffen. Auch das Preis-Leistungsverhältnis empfinde ich als günstig. Möglich sind die Preise dadurch, dass das österreichische Unternehmen die Schuhe in der eigenen Fabrik in Tschechien fertigt. Bei Fertigung in Österreich wären Schuhe dieser Machart in Einzelanfertigung aus Leder und Zutaten in der von Handmacher gebotenen Qualität so teuer wie dort hergestellten Goodyear-Schuhe des Wettbewerbs.