Von Prag nach Berlin dauert es mit dem Zug rund vier Stunden, Meister Hartl hat im Auto etwas weniger gebraucht. Dank Navi hat er ohne Probleme den Weg zum Atelier von Korbinian Ludwig Heß in Wilmersdorf gefunden, bei dem das „Public Fitting“ mit anschließenden „Sartorial Talk“ stattgefunden hat. Ein gutes Dutzend Besucher war dabei, inklusive einiger Passanten aus der Nachbarschaft, die durch die Vorgänge im Verkaufsraum angelockt wurden. Eine Trunkshow im klassischen Sinne war das noch nicht, es lagen aber Stoffmusterbündel bereit. Einer der Gäste ließ sich vermessen und bestellte ein Sakko aus dunkelblauem Original-Fresko von Hardy Minnis. Eine Sakko-Hose-Kombination wurde probiert, außerdem ein Doppelreiher aus schwarzem Original-Fresko und Sportsakko.
Zdeněk Hartl spricht kein Deutsch und sehr wenig Englisch, deshalb waren zwei Mitarbeiter zum Übersetzen dabei. Die Hosenschneiderin Katarína spricht neben Slowakisch und Tschechisch auch Englisch sowie Italienisch, der neue Mitarbeiter Edvin spricht auch Deutsch. Die mangelnden Sprachkenntnisse behindern die Kommunikation mit Meister Hartl aber nur geringfügig, er ist es gewohnt, Kundenwünsche als Bilder oder Skizze entgegenzunehmen. Ansonsten reichen ihm die Daten, die ihm das Maßband und seine Augen liefern.
Der Ruf der Prager Herrenschneider war im Europa der 20er bis 40er Jahren legendär und so manche Wiener Schneiderei kann auf einen tschechischen Gründer verweisen. Zdeněk Hartl hat bei einer der berühmtesten Schneidereien dieser Ära gelernt, bei Fr. Bárta a spol. Zu seiner Lehrzeit hieß sie schon „Diplomat“, nach der Vergesellschaftung ist sie 1954 umbenannt worden. Auch zu Zeiten des Kommunismus wurde dort nach Maß genäht. Anfang der 1990er Jahre hat Zdeněk Hartl das Atelier in der Verdunská 801/17 bezogen, dort arbeitet er bis heute. In Prag hat er seitdem viele Kunden gewinnen können, darunter in jüngster Zeit immer mehr junge Freunde des klassischen Stils. Auch in Wien gibt sehr viele Hartl-Kunden, vielleicht mehr als in Prag. Hartl ist um einiges günstiger als die Wiener Kollegen, er ist aber auch einfach ein sehr routinierter Schneider.
Bei dem „Sartorial Talk“ wurde auch die Frage nach seinem „House Style“ gestellt. Der ist schwer zu definieren. Hartl schneidet eher Englisch zu, die Schultern sind bei ihm nicht so stark gerundet, wie z. B. bei Knize oder Niedersuesz. Viel Polster oder steife Einlagen verwendet er nicht, die Silhouette zeigt keine Übertreibungen. Hartl ist es von seiner Wiener Kundschaft gewohnt, nach sehr detaillierten Vorgaben zu arbeiten. Einer seiner jungen Kunden erzählte mir dort, dass er ein zwanzigseitiges Dossier mit Bildern und schriftlichen Vorgaben zu seinem Mantel geliefert hat. Nicht selten bekommt er auch alte Anzüge oder Mäntel von Knize, die er kopieren soll. Auf Basis von Kundenwünschen liefert er auch einen sehr italienischen Stil. Alles wird in seiner Prager Werkstatt genäht, die auf dem Hof hinter seinem Ladengeschäft liegt. Alles wird von Zdeněk Hartl zugeschnitten, mehrmals am Tag bringt er die Bündel mit dem zugeschnittenen Stoffen über den Hof zu seinen Schneidern. Im Keller unter dem Laden arbeitet außerdem noch ein Schneider, der für Änderungen zuständig ist.
Preislich ist das Prager Schneideratelier auch für deutsche Kunden sehr interessant, für die Anfertigung eines zweiteiligen Anzugs zahlt man dort 1200 Euro. Der Stoff wird zusätzlich berechnet, für einen zweiteiligen Anzug aus einer guten Ware von Draper’s Italy zahlt man etwa 300 Euro. Die Wiener Kunden suchen die Stoffe bei Jungmann & Neffe aus, in Berlin liegen Stoffmusterbündel bereit. Natürlich kann man auch eigene Stoffe mitbringen.
Fotografie: Tommi Aittala, Der Feine Herr.