Berliner Herrenschneider: Alexander Amann

„Ich bin gerade 12 geworden“ – Alexander Amann sagt das ganz ernst, dann schmunzelt und fügt hinzu „Beruflich. So lange bin ich jetzt selbstständig.“ Der Sinn für Humor passt zur Herkunft, der Berliner Herrenschneider ist geborener Kölner. Im Rheinland hat er auch gelernt, bei Heinz-Josef Radermacher in Düsseldorf, einem der besten Schneider des Landes. Der „Jupp“, wie Alexander Amann seinen alten Lehrmeister liebevoll nennt, hat ihn beruflich geprägt. Der präzise Zuschnitt, die pingelig-genaue Verarbeitung, die drei Anproben – das alles ist alte Düsseldorfer Schule. Ansonsten ist Alexander Amann aber ein ganz anderer Typ, als Schneider und als Mensch. Zopf, Bart, Weste, weißes Hemd – Alexander Amann könnte auch Musiker sein oder Maler. 

Das Atelier liegt in einem Altbauviertel in Treptow, weitab von Friedrichstraße oder Kurfürstendamm. Aber Alexander Amann ist froh, dass er es gefunden hat. „Die Miete ist bezahlbar, das ist gerade jetzt wichtig“. Die Pandemie ist nicht spurlos an seinem Geschäft vorbeigegangen, denn seine Berliner Kundschaft stammt aus stark betroffenen Wirtschaftszweigen: „Kunst, Veranstaltungsbranche, Gastronomie – die bestellen im Moment nicht viel“. Dennoch sieht es in seiner Werkstatt nach Arbeit aus. Auf drei Büsten sind fast fertige Sakkos ausgestellt. Auf dem Tisch bereitet er gerade die Anprobe eine karierten Sakkos mit rotem Futter. Weitere Teile hängen an einer Stange. „Ich arbeite im Moment mehr für Kunden aus anderen Teilen Deutschlands“, erklärt Alexander Amann. Dann bietet er Kaffee an und selbstgebackenen Käsekuchen. „Das Rezept stammt aus der Familie, leider ist es nur mündlich überliefert“. Die Überlieferung hat funktioniert, der Kuchen ist gelungen. Alexander Amann arbeitet gern mit den Händen. Nicht nur in seinem Beruf. Auch das Atelier hat er selbst renoviert. 

Wer einen Schneider sucht, der Spaß an außergewöhnlichen Aufträgen hat, ist bei Alexander Amann an der richtigen Adresse. Er arbeitet gern mit ungewöhnlichen Stoffen, seine besondere Liebe gilt englischen Streichgarnqualitäten, mit Tweed, Cheviot, Saxony, Flanell. „Extrem leichte Stoffe sind nicht so mein Ding, auch wenn ich sie natürlich verarbeite.“ Alexander Amann nimmt ein Braunes Sakko von einer der Büsten und zeigt die dazu passende Kombinationshose. Die Knopflöcher sind präzise gestichelt. Den Filz des Unterkragens hat er farblich auf das Innenfutter abgestimmt, eines seiner Markenzeichen. Das Vorderteil verarbeitet er gern ohne Abnäher, sofern die Figur des Kunden das zulässt. Bei der Passform ist er selbst sein strengster Kritiker: „Wenn am Ende nicht alles perfekt ist, nehme ich das Teil wieder ganz auseinander. Aber das ist bisher nur ein paarmal vorgekommen in all den Jahren.“ 

Wer das erste Mal zu ihm kommt, wird durch die Werkstatt in das Besprechungs- und Probierzimmer geführt. Dort liegen Stoffballen und Stoffbündel bereit, ein Tisch mit Stühlen lädt zum Hinsetzen ein. „Ich bespreche erst einmal genau mit dem Kunden, was er will“. Anschließend werden die Maße genommen. Die erste Anprobe kann dann relativ bald stattfinden. Das hat für den Schneider den Vorteil, dass der Kunde in der Zwischenzeit nicht sein Gewicht verändern kann. Zwei Anproben sind bei Alexander Amann das Minimum. Erst eine Rohprobe ohne Ärmel, dann eine Probe mit Ärmeln, dann noch eine. Wenn das Teil – Alexander Amann nennt es scherzhaft den „Kittel“ – nach der zweiten Probe gut passt, stellt er es direkt fertig. „80 Stunden brauche ich für einen dreiteiligen Anzug“ betont Alexander Amann. Er ist nicht für schnell hingehuschte Arbeit, Maßschneiderei ist für ihn Präzisionsarbeit.