Die erste Bestellung im Maßatelier

Wenn die Entscheidung für die Schneiderei gefallen ist, steht die nächste Entscheidung an: Was soll ich mir als erstes machen lassen? Es sei denn, der Bedarf steht fest. Oftmals gehen Männer erstmals zur Schneiderin oder dem Schneider, wenn sie ein Kleidungsstück für einen besonderen Anlass benötigen. Diplomabschlussabfeier, Hochzeit oder eine Balleinladung. In diesem Fall besteht jedoch die Gefahr, dass etwas bestellt wird, das dann nur einmal getragen wird. Das gilt besonders bei festlichen Kleidungsstücken. Was natürlich sehr schade ist. Viel schöner und auch sinnvoller ist es, sich beim ersten Mal etwas machen zu lassen, das eine Lücke in der Garderobe füllt und sehr eingesetzt werden kann. 

Wer im Büro Anzug trägt, könnte sich einen dunklen Zweiteiler bestellen, bei anderen wäre eine Sakko- Hose-Kombination eine gute Wahl. Auch Mäntel sind als erste Bestellung denkbar, allerdings kann es von Vorteil sein, wenn die Schneiderin oder der Schneider zuerst ein Sakko macht und dann, auf Basis dieses Schnittmusters, einen Mantel. Hin und wieder bestellen Männer beim ersten Mal eine Hose, weil sie sich ein ganz bestimmtes Modell wünschen, das von der Stange oder als Maßkonfektion nicht zu haben ist. Die meisten ordern danach auch noch ein Sakko, für sie stellt sich das Maßerlebnis erst mit diesem, für die Garderobe so wichtigen Klassiker, ein. 

Ich würde dazu raten, mit einem Sakko zu beginnen. Dafür sprechen mehrere Gründe. Ein Sakko ist mit vielen Hosen kombinierbar und somit sehr vielseitig einsetzbar. Die Auswahl an Stoffen ist riesig und man kann sehr leicht eine Qualität finden, die zugleich unauffällig und speziell ist. Beim Sakko müssen die Schneiderin oder der Schneider Farbe bekennen und zeigen, was sie können. Zugleich sind die Fähigkeiten der Schneiderin oder des Schneiders an einem Sakko klar ablesbar. Es gibt Schneiderinnen oder Schneider, die sehr gute Hosen machen, jedoch beim Sakko Schwächen haben. Umgekehrt fallen die Hosen von Handwerkerinnen oder Handwerken, die sehr gut Sakkos machen, manchmal enttäuschend aus. Manche Schneiderkunden ordern ohnehin nur Sakkos nach Maß und kombinieren sie mit Hosen von der Stange oder maßkonfektionierte Modelle.

Mein erstes Teil nach Maß war 1997 ein doppelreihiger Blazer von Heinz-Josef Radermacher in Düsseldorf. Ich war damals ein großer Fan dieses Klassikers, da ich damals selten Anzüge getragen habe. Heute würde ich nicht mehr unbedingt mit einem Blazer beginnen, da ich inzwischen häufiger Sakkos trage. Dennoch wäre ein Sakko ein guter Anfang. Ein Sakko aus kariertem Stoff ist für die Schneiderin oder den Schneider bei der ersten Bestellung eine etwas größere Herausforderung, da der Musterverlauf passen muss. Das ist zwar eine Selbstverständlichkeit bei einem von Hand zugeschnittenen Kleidungsstück, bei einer Maßanfertigung, die bei mindestens zwei Anproben optimiert wird, können durch das Muster aber Probleme auftreten. Wenn der Ärmel z. B. nicht exakt zur Armhaltung des Kunden im Ruhezustand passt (also bei herabhängenden Armen), verläuft das Karo waagerecht nicht perfekt vom Vorderteil auf den Ärmel weiter. Dieser Mangel ist bei fertigen Teil nicht zu ändern, die Ärmel müssten neu zugeschnitten und genäht werden. 

Generell ist der Stoff ein wichtiges Thema bei der ersten Bestellung. Die meisten Schneiderinnen oder Schneider arbeiten gern mit etwas schwereren Stoffen. Sie sind weniger empfindlich bei der Verarbeitung und können gut mit dem Bügeleisen geformt werden. Wer bei der ersten Bestellung also z. B. einer Cheviot Tweed mit rund 500 g/ m ordert, wird in aller Regel mit dem Ergebnis zufrieden sein. Wenn für die zweite Bestellung ein extrem leichter Stoff gewählt wird, kann das Resultat anders aussehen in Hinblick auf Passform und Ausarbeitung. Das heißt nicht, dass man beim ersten Mal gleich einen anspruchsvolleren Stoff wählen sollte. Um einen guten Eindruck von dem Schneider zu bekommen, wäre aber vielleicht ein mittelschwerer Stoff eine gute Variante. Ich will damit nicht sagen, dass manche Schneider nur mit bestimmten Stoffen gut arbeiten können. Ein Profi kommt natürlich mit jedem Stoff zurecht. Es gibt allerdings Handwerkerinnen und Handwerker, die ein besseres Händchen für bestimmte Stoffe haben. Das sagen manche ganz offen beim ersten Zusammentreffen, andere sprechen es erst später so deutlich aus. Natürlich kann man diese Frage auch als Kunde ansprechen, wie ehrlich die Antwort ausfällt, sei dahingestellt.