Hauptsache Hut

Der Hut ist Schmuck und Schutz zugleich. Richtig gewählt kann er das Outfit krönen und vollenden (Foto: Jan Hemmerich bei Ed.Meier München)


Der Hut ist so beliebt wie lange nicht, doch fester Bestandteil der Herrengarderobe ist er schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Man trägt ihn heute weil man will und nicht weil es so üblich ist. Bis in die 1950er war es für Männer noch selbstverständlich, stets mit Hut auf die Straße zu gehen oder wenigstens mit Mütze. Welche der beiden Varianten das Haupt zierte, hing mehr von beruflicher Stellung und gesellschaftlichem Rang als vom eigenen Geschmack ab. Arbeiter trugen Mützen, Büroangestellte Hut und „bessere Herren“ sowieso. Adenauers Homburger galt als „Unternehmerhut“. Schwarz, grau oder dunkelblau war er zum Geschäftsanzug, braun auf Reisen oder am Wochenende. Mützen waren für den Sport, Radfahren oder das Wandern reserviert. Der Niedergang des Huts begann in den 1960ern, als die jungen Leute gegen die Welt ihrer Eltern und Großeltern aufbegehrten. Studentenprotest und Lockerung der Sitten waren mit korrektem Hut nicht denkbar. Wilde Mähnen, lange Koteletten und Bärte waren nun der letzte Schrei, der ausrasierte Nacken galt zusammen mit dem Hut als altmodisch oder sogar reaktionär. Allenfalls ein knautschiger Schlapphut oder das Barett à la Che Guevara passte ins Bild.

Heute werden Hüte ganz unbelastet in das Outfit integriert. Das hat auch viel mit verschiedenen Popstars zu tun, die seit einigen Jahren wieder Hüte tragen. Bei Musikern älteren Jahrgangs waren Hüte auch schon immer beliebt, der Filzdeckel dient bei ihnen dann als Ersatz für die geschwundene Haarpracht. Man denke nur an Udo Lindenberg, der seit Jahrzehnten nicht mehr oben ohne geht. Doch auch das Bewusstsein für die Gefahren der UV-Strahlen hat dazu geführt, dass Hüte und Mützen im Sommer wieder viel getragen werden. Und in Herbst und Winter schätzt man die wärmende Wirkung von Filz, Fell oder Tweed. Fans des Gentleman-Looks bevorzugen klassische Hüte und Mützen, die am authentischsten von britischen Anbietern geliefert werden. Die Betonung liegt dabei bewusst auf geliefert, denn so manches Modell, das überaus britisch wirkt, entstammt deutscher Produktion. Dennoch gibt es auch in Großbritannien noch Herstellungsbetriebe, da sie aber rar geworden sind, beliefern die Fabriken oft konkurrierende Hutläden mit ein und demselben Produkt. Wer genau wissen will, wo sein Hut herstammt, muss direkt an die Quelle gehen, also zur Hutfabrik oder zum Hutmacher.

Der wohl bekannteste deutsche Hersteller ist Mayser aus Lindenberg. Im Jahre 1800 gegründet, entwickelte sich aus einem kleinen Handwerksbetrieb eine Fabrik, die Ende des 19. Jahrhunderts bereits 250 000 Hüte pro Jahr fertigte. Im hessischen Lauterbach ist R & M Wegener ansässig. Der Herstellungsbetrieb für Hüte und Mützen wurde 1816 in Hamburg-Altona gegründet und 1884 an seinen heutigen Firmensitz verlegt. Seitdem produziert er an diesem Standort. Die Programmpalette umfasst alle gängigen Formen und man fertigt dort auch einen großen Teil der in England verkauften Zylinderhüte. Beide Hersteller verkaufen ihre Erzeugnisse direkt. Im Internet oder im Fall von Wegener im eigenen Outlet. Die individuellste Art des Hutkaufs bieten Maßhutmacher. In Deutschland war Jürgen Eifler einer der bekanntesten. Im Laden des 2019 verstorbenen Hutmachers wurden ausschließlich einzeln angefertigte Kopfbedeckungen verkauft, bei der Ware im Laden handelte es sich um Musterteile.
Als Material kame bei ihm nur Hasenfilz zum Einsatz. Ansonsten verwendete er samtigen Velours und für seine Kappen schottische Tweeds. Der Maßhut aus Köln war mit Preisen zwischen 200 und 400 Euro nicht teurer als ein gutes Markenprodukt, obendrein arbeitete Eifler seine Kreationen einmal pro Jahr kostenlos auf. Die Lieferzeit betrug zwischen 14 und 18 Tagen, für Mützen brauchte er zwei bis drei Wochen.

Wer nicht gleich zur Maßarbeit greifen will, kann guten Gewissens von der Stange kaufen und das sogar von zu Hause aus. Im Internet gibt es zahlreiche Hutshops mit riesiger Auswahl und guten Preisen. Wer noch nie Hut gekauft hat und sich nicht auskennt, sollte vielleicht dennoch das Fachgeschäft bevorzugen. Dort erfährt der Kunde wichtige Grundlagen über Passform, Materialien und Pflege, obendrein kann ein Hutmacher Kopfbedeckungen auch reparieren, ändern oder sogar anfertigen. Es gibt in den meisten größeren Städten gut sortierte Hutläden, in Berlin, München, Hamburg oder Köln oftmals sogar mehrere. Als Pilgerstätte für Fans des britischen Stils gelten die berühmten Adressen Londons. In der Jermyn Street, der Straße der Hemdenmacher, wartet Bates mit einer großen Auswahl klassischer Modelle auf. Ebenfalls im West End von London ist Patey ansässig, eine weniger bekannte aber nicht weniger renommiertere Firma. Ihre Geschichte reicht bis ins Jahr 1695 zurück und nach wie vor wird alles in der eigenen Fabrik gefertigt. Auf Wunsch auch nach Maß.
Der bekannteste Hutladen Londons und Primus inter Pares ist wohl Lock & Co. Das 1676 gegründete Geschäft gilt als der älteste Hutladen der Welt und als eines der ältesten im Familienbesitz befindlichen Läden. Zu den Kunden zählen zahllose Gentlemen, darunter Admiral Lord Nelson, der Duke of Wellington, Sir Winston Churchill und Charles Chaplin. Auch die englische Königsfamilie deckt sich hier ein. Wer das erste Mal einen Hut kaufen will und seine Hutgröße nicht kennt, kann sich den Kopf mit einem Instrument namens Conformateur vermessen lassen. Er ermittelt neben dem Umfang auch die Form des Schädels. Dies ist vor allem wichtig, wenn steife Hüte wie Bowler oder Zylinder gesucht sind, denn sie müssen an die Kontur des Haupts angepasst werden. Auch der Schwung der Krempe wird wunschgemäß geliefert, wie schon bei den Hüten für die Serie „Mit Schirm, Charme und Melone“. Bei Lock & Co. heißt der Bowler übrigens „Coke“. Das hat mit der amerikanischen Brause nichts zu tun, der Name spricht sich „Kuck“ und geht auf den Kunden zurück, nach dessen Wünschen 1849 die erste „Melone“ gefertigt wurde.


Gute Herrenhüte werden traditionell aus Filz gefertigt. Es gibt Wollfilz oder Filz aus Hasenhaar. Wollfilz ist etwas günstiger, er ist aber nicht so fein wie Filz haus Hasenhaar und er läuft auch stärker ein. Die Qualität des Filzes lässt sich ertasten, gute Ware fühlt sich weich und flexibel an. Wer einen ausgesprochenen Regenhut sucht, sollte zu Modellen aus gewachster Baumwolle oder imprägniertem Baumwollgabardine greifen. Auch ein Filzhut kann gegen Regen durch eine Appretur geschützt werden, sie macht ihn etwas härter im Griff. Das Schweißband wird bei günstigen Hüten oft aus synthetischem Gewebe oder Kunstleder gefertigt, angenehmer an der Stirn sind aber Seide, Wolle oder Leder. Ob Stoff oder Leder, das ist beim Schweißband auch eine praktische Frage. Mit einem Exemplar aus Leder sitzt der Hut fester auf dem Kopf, die Alternative aus Stoff trägt sich dafür luftiger. Sporthüte bestehen meistens aus Wollgeweben, also z. B. Tweed. Sie kann man einrollen und einstecken, wenn keine Kopfbedeckung gefragt ist. Auch Mützen werden oftmals aus Tweed genäht, sie passen ebenfalls gut in die Jacken- oder Manteltasche. Außerdem haben Mützen den Vorteil, dass Sie dem Wind weniger Angriffsfläche bieten.


Der Sommerklassiker ist der Panamahut. Seine Heimat ist, anders als der Name vermuten lässt, Ecuador. Dort wird das Rohmaterial für die Hüte aus Fasern der Panamapalme von Hand geflochten. Je feiner das Geflecht, desto hochwertiger und teurer das Ergebnis. Ein Panama aus gröberem Material ist bereits für um die 60 Euro zu haben, Luxusmodelle höchster Qualität liegen dagegen bei 1000 Euro. Je nach Budget und Anspruch darf sich der Hutfreund seine Preisklasse aussuchen. Panama heißt der Hut vermutlich, weil europäische Ingenieure und Geschäftsleute ihn Ende des 19. Jahrhunderts während des Baus des Panamakanals für sich als Schutz gegen die Sonne Mittelamerikas entdeckten. Der Kanal wurde 1914 vollendet aber erst nach Ende des 1. Weltkriegs 1920 offiziell eröffnet. Seitdem steht der Panamahut zusammen mit dem Leinenanzug und weißen Spectator-Schuhen für sommerliche Eleganz, die stilvoll der Hitze trotzt. Die Liste berühmter Panamahutträger ist lang, sie umfasst mehrere US-Präsidenten, englische Premierminister, Künstler, Literaten und Schauspieler. Letztere als Privatleute und in diversen Rollen. Auch Lock & Co. hat Panamahüte im Sortiment, denn sie sind fester Bestandteil des englischen Gentleman-Looks. Prince Charles bezieht sie wie sein Vater und andere Mitglieder des Könighauses bei dem legendären Hutladen, der nur wenige Minuten vom St. James’s Palace liegt, der Londoner Residenz des Prince of Wales.


Als Hüte und Mützen noch bei der Mehrzahl der Männer Alltagskleidung waren, kannte jeder die Hut-Etikette. Die sind heute fast vollkommen in Vergessenheit geraten. Bekannt ist allenfalls, dass man Kopfbedeckungen in der Kirche absetzt. Doch wie ist es bei der Begrüßung? Früher lüpfte man auf der Straße den Hut zum Gruße, während des Gesprächs mit Damen wurde er in der Hand gehalten. Nur bei Kälte durfte er gleich wieder aufgesetzt werden. In Privaträumen wird der Kopf entblößt, in öffentlichen Gebäuden, öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften hingegen nicht. Bei längeren Zugreisen wird der Hut abgenommen und auf die entsprechende Ablage gelegt – sofern noch vorhanden. Im Fahrstuhl bleibt der Hut drauf, das hat vor allem praktische Gründe: Wenn es eng wird, wäre für den Hut in der Hand zwischen den Menschen kein Raum. Mützen werden generell nicht zum Gruß gezogen, werden aber wie Hüte in den entsprechenden Räumen abgenommen. Generell gilt es als Ausdruck von Respekt oder gar Ehrerbietung, den Kopf zu entblößen.
Hochwertige Hüte halten viele Jahre lang. Hin und wieder sollten Filzhüte mit einer speziellen Bürste entstaubt werden. Sie ist sichelförmig gebogen, um die Krempe besser reinigen zu können. Eine gute Kleiderbürste tut es aber auch. Es schont das Material, wenn man den Hut beim Abnehmen mit beiden Händen an der Krempe erfasst. Beim Grüßen geht das nicht, dann wird er oben mit den Fingerspitzen gegriffen. Auf Dauer kann das aber den Hut beschädigen. Wenn Wollfilzhüte nass werden, müssen sie an einem luftigen Ort langsam trocknen. Trotz aller Sorgfalt können sie dann aber einlaufen. Bei Hüten aus Hasenhaar passiert das nicht bzw. nur nach langer Zeit und in sehr geringem Maß. Ein Hutmacher kann dem abhelfen, indem er das gute Stück über einen Holzblock in Kopfform zieht mit Hilfe von Wasserdampf dehnt und in Form bringt. Es gibt auch Hutstrecker für den Heimbedarf, z. B. den Hat Jack Lock & Co. Mit seiner Hilfe und Wasserdampf kann der Hut rund um das Stirnband wieder etwas geweitet werden. Wenn das Futter des Hutes nach vielen Jahren zerschlissen ist, kann der Hutmacher es erneuern. Ob sich das lohnt, hängt von der Qualität des Filzes ab und natürlich davon, wie sehr man seinen Hut liebt.
Hüte werden nach ähnlichen Regeln wie Schuhe mit der übrigen Kleidung kombiniert. Dunkle Hüte in Schwarz, Grau oder Blau gehören zum Bürooutfit mit schwarzen Schuhen, braune Hüte hingegen zum sportlichen Anzug aus Streichgarnstoffen oder zur Kombination aus Tweedjacke und Kordhosen. Zum Smoking passen nur schwarze Modelle, z. B. Homburg, Fedora oder – für Mutige – ein schwarzer Bowler. Zum Frack gehört der schwarze Seidenzylinder, gern auch in der klappbaren Variante. Zum Cut passt ein schwarzer Zylinder mit Bezug aus Seide oder Wolle, auf keinen Fall aber der Klappzylinder. Beim Pferderennen sind graue Zylinder die erste Wahl, Snobs rümpfen über sie aber die Nase und bevorzugen antike Modelle in Schwarz. Im Idealfall erbt man sie, ansonsten muss man sie für viel Geld ersteigern.


Zylinderhüte werden generell ausschließlich zu Frackanzügen getragen, niemals zu Smoking oder Stresemann. Mützen jeglicher Art gehören in den Casualbereich, die einzige Ausnahme bildet das Barett der Basken. Es ist der Liebling von Künstlern, Intellektuellen und Revoluzzern, passt aber auch auf der Reise zum dunklen Anzug. Und wer mag, kann es auch zu Smoking und Trenchcoat aufsetzen. Die Klassiker unter den britischen Mützen sind die flache Tweedmütze, die bei Jägern, Reitern und Sportschützen beliebt ist, außerdem die voluminösere „eight piece cap“, die zu Wachsjacke und Knickerbockern passt sowie der „Deerstalker“. Er ist besser bekannt und unter dem Spitznamen Sherlock-Holmes-Mütze. Das markante Modell ist besonders praktisch bei Regen und Wind, da sie Gesicht und Nacken abschirmt und bei Bedarf auch die Ohren wärmen kann. Es zu tragen erfordert allerdings Mut und Sinn für Exzentrizität.