Patrick Frei Maßschuhe. Von Hand für den Fuß

Der Freiburger Maßschuhmacher Patrick Frei setzt auf Maximum an Handarbeit. Was das praktisch bedeutet beim Leisten- und Schuhbau, erklärt er in unserem Interview. Mit Bildern von Janik Gensheimer (schwebende Schuhe) und Andreas Lörcher.

Feine Herr: Sie sind bekannt als „Weltmeister der Maßschuhmacher“. Was muss man sich unter dem Titel vorstellen?

Patrick Frei: Jedes Jahr werden in London die Weltmeisterschaften der Maßschuhmacher ausgetragen. Um die Fähigkeiten der Teilnehmer objektiv einschätzen zu können, muss jeder Schuhmacher den gleichen Schuh anfertigen. Das war in meinem Fall der Klassiker schlechthin: Ein Captoe-Oxford aus schwarzem Boxcalf-Leder.Die Größe war vorgegeben, er musste rahmengenäht und die Sohle von Hand angedoppelt sein. Von ca. 50 Anmeldungen reichten letztlich 30 Schuhmacher und Manufakturen aus neun Ländern und fünf Kontinenten Schuhe ein. Die Schuhe durften keine Logos oder Namen tragen und wurden mit Nummern ausgestattet, damit die internationale Jury bestehend aus Schuhexperten aus England, Frankreich, Italien, USA und Schweden unvoreingenommen an die Wertung gehen konnte. Für mich war es traumhaft dort in London letztlich den Titel zu holen. Obwohl ich um meine Fähigkeiten weiß und über viele Jahre extrem weit in die Materie eingetaucht bin, war es im Vorfeld ein Wechselbad der Gefühle. Umso schöner war dann die Würdigung und Bestätigung, die ich erfuhr. Zumal ich mich gegen viele namhafte Konkurrenten wie z.B. Daniel Wegan von Gaziano & Girling, Phillipe Atienza, den Ex-Werkstattleiter von John Lobb Paris, Christophe Corthay, Laszlo Vass und namhafte japanische Schuhmacher durchsetzen konnte.

Wie beschreiben Sie Ihre Arbeitsweise?

Für mich stehen das Streben nach Schönheit und Perfektion an erster Stelle. Das beinhaltet auch, dass der Kunde die Schuhe als perfekt empfindet. Das heißt, neben Stil und Ästhetik sind Passform, Funktionalität und Haltbarkeit die obersten Ziele. Um diese zu erreichen, orientiert sich meine Arbeitsweise stark an der traditionellen feinen Schuhmacherei: Reine Handarbeit, beste Materialien und alte ausgeklügelte Handwerkstechniken.

Für mich stehen das Streben nach Schönheit und Perfektion an erster Stelle. Das beinhaltet auch, dass der Kunde die Schuhe als perfekt empfindet.

Das Schuhmacherhandwerk hat sich über Jahrhunderte immer weiter entwickelt und erreichte zwischen 1900 und 1920 die Blütezeit. Danach wurde der Zenit überschritten, immer mehr Kompromisse wurden gemacht und die Qualität verschlechterte sich. Schaut man sich Ausstellungsschuhe aus dieser Zeit an, kann man oft nicht fassen, wie formvollendet und auf welch hohem handwerklichen Niveau damals Schuhe gebaut wurden. 

Mein Anspruch war es immer, keine Kompromisse einzugehen, dieses Niveau wieder herzustellen und bestenfalls noch eigene Inventionen hinzuzufügen. Neben der Tradition ist es für mich auch wichtig, neue Dinge zu entwickeln. Schließlich waren auch die Klassiker wie z.B. der Full-Brogue noch nicht immer da, sondern wurden von kreativen Köpfen erfunden. 

Wofür stehen Sie beim Leistenbau? Was macht Ihren Leisten aus?

Die Leisten sind die Basis für formschöne und passende Schuhe. Neben der Ästhetik geht es beim Leistenbau vor allem darum, auf anatomische Besonderheiten zu achten und für den Träger den größtmöglichen Komfort zu erreichen.

Im Gegensatz zu vielen Schuhmachern verwende ich keine vorgefertigten Leisten, die dann nur noch leicht bearbeitet werden, sondern ich fertige die Leisten aus klotzigen Rohlingen an, in die Merkmale der Füße eingearbeitet werden. So kann ich jeden Leistentypus und jede Spitzenform individuell erstellen. Es wird auf den exakten Bogen der Ferse, die Höhe der Zehen, wie ausgeprägt die Fußgewölbe sind und vieles andere geachtet. 

Im Gegensatz zu vielen Schuhmachern verwende ich keine vorgefertigten Leisten, die dann nur noch leicht bearbeitet werden, sondern ich fertige die Leisten aus klotzigen Rohlingen an, in die Merkmale der Füße eingearbeitet werden.

Ganz wichtig für perfekte Leisten sind Probeschuhe aus Leder. Nur durch diesen Zwischenschritt kann man ideale Ergebnisse erzielen. Jeder Mensch hat individuelle Bedürfnisse, was die Passform angeht und das hat viel mit der eigenen Geschichte und Prägung zu tun. Erst durch die Erkenntnisse aus den Probeschuhen können die Leisten so angepasst werden, dass die Schuhe perfekt passen und für den Träger gemütlich sind.

Obwohl viele meiner Leisten von der Spitzenform her eher Englisch oder Französisch anmuten, orientiere ich mich beim Leistenbau stark an der Deutschen Schule. Das zeigt sich vorwiegend daran, dass ich die Füße nicht in ihrer Freiheit und Schrittabwicklung einschränke, sondern die anatomischen Gegebenheiten respektiere und beispielsweise nicht die Großzehe abwinkle. Trotzdem erreiche ich durch eine eigene Technik schöne und elegante Formen.

Wie wichtig ist das Thema Handarbeit für Sie? Führt sie immer zu besseren Ergebnissen?

Für mich und mein Produkt ist Handarbeit von großer Bedeutung. Meine Überzeugung ist, dass man durch konsequente Handarbeit viel näher am Werkstück und den jeweiligen Arbeitsschritten ist. So taucht man tiefer in den Prozess ein und erzielt letztlich ein Ergebnis, das nur in dieser Art und Weise erreicht werden kann. In solch einem Produkt steckt der Zauber des traditionellen Handwerks. Bei der Herstellung meiner Schuhe wird der Faden aus Hanf und Flachsfasern selbst gezwirbelt und dann mit Pech und Bienenwachs bestrichen. Wildschweinborsten werden als flexible Nadeln verwendet und in die Sohlen- und Absatzkanten werden mit heißen Brennwerkzeugen Hartwachse eingebrannt. Was am Ende ein Paar meiner Schuhe ausmacht, ist mehr als das sichtbare Äußere.

Natürlich hat dieser Aufwand und die Liebe zum Detail ihren Preis und meine Kunden entscheiden sich bewusst dafür, diesen kompromisslosen Weg zu gehen. 

Gerne vergleiche ich es mit einer handgemachten mechanischen Uhr, die auch nur die Zeit anzeigt, aber im Inneren versteckt sich ausgeklügeltes Knowhow, viel handwerkliches Können und große Liebe zum Detail. Da stecken Menschen dahinter, die stolz sind auf ihr Handwerk. Solche Objekte sind einzigartig. Kein einfach ersetzbarer Konsumartikel sondern individuelle handwerkliche Schöpfungen mit Seele. Natürlich hat dieser Aufwand und die Liebe zum Detail ihren Preis und meine Kunden entscheiden sich bewusst dafür, diesen kompromisslosen Weg zu gehen. 

Wie würden Sie sich international einordnen? Sind Sie eher von den Engländern beeinflusst? Oder mehr von den Italienern? Oder sind Sie eher Wiener?

Seit meiner Lehrzeit war ich viel in Europa unterwegs und habe viele Schuhmacher besucht, von ihnen gelernt und mich inspirieren lassen. Auch meine große Sammlung an antiken Schuhen und Fachbüchern aus zahlreichen Ländern hat mich geprägt und weitergebracht. Grundsätzlich würde ich sagen, dass meine Schuhe stark von der englischen und französischen Schule der Schuhmacherei beeinflusst sind. Nach der Weltmeisterschaft reiste mein Siegerschuh über 61000 Kilometer und wurde in vielen Städten rund um die Welt ausgestellt. Zur Ausstellung in Tokio wurde ich eingeladen und konnte in diesem Zuge die Szene in Japan begutachten. Dort lernte ich auch den sehr talentierten Schuhmacher Kazuya Kimura kennen, der inzwischen bei mir in der Werkstatt arbeitet und nochmal eine eigene japanische Note mit in meinen Hausstil eingebracht hat. 

Da nach dem zweiten Weltkrieg fast nichts mehr von der Deutschen Maßschuhszene übrig war, ist hierzulande das Schuhmacherhandwerk ziemlich verkümmert und kein expliziter deutscher Stil mehr vorhanden. Gemeinsam mit Kazuya Kimura habe ich mich intensiv auf die Suche nach dem verschollenen deutschen Schuhstil begeben. Durch alte Bücher, Zeichnungen und museale Modelle haben wir uns immer weiter angenähert und inzwischen beliebte deutsche Modelle aus der Zeit von 1920-1940 aus der Versenkung gehoben und nachgebaut. Wir freuen uns, diesen Stil nun auch anbieten zu können.

Wie läuft die Bestellung bei Ihnen ab? Was machen Sie anders?

Beim ersten Besuch in meiner Werkstatt unterhalten wir uns zunächst über den Zweck der Schuhe, das Wohlbefinden der Füße und die Bedürfnisse des Kunden. Gemeinsam entwickeln wir anhand von Ausstellungsstücken, Skizzen, Bildern und Ledermustern nach und nach einen Entwurf für den persönlichen Schuh oder die persönliche Kollektion. Daraufhin werden die Füße vermessen und auf alle Besonderheiten geachtet. Das Ziel ist, Schuhe zu erschaffen, die nicht nur perfekt an die Füße passen, sondern auch perfekt zur Persönlichkeit und zum individuellen Stil des Kunden passen. Dafür versuche ich neben dem Kleidungsstil auch individuelle körperliche Merkmale und das Wesen des Trägers dezent mit in das Design einfließen zu lassen.

Beim zweiten Termin ist die gemeinsam entwickelte Idee nun in Form von Probeschuhen greifbar. Jetzt wird entschieden, ob am Design, der Spitzenform oder anderen Details noch Veränderungen vornehmen werden sollen. Der Kunde fühlt sich in die Schuhe ein und es wird ermittelt, wo noch mehr Halt oder Freiheit gegeben werden soll. In die Probeschuhe werden mehrere Sichtfenster geschnitten um zu sehen, ob die Zehen genug Platz haben, die Fersenbögen überall perfekt anliegen und ob die Füße sich in belastetem Zustand bis auf das Fußbett senken. Alle Erkenntnisse werden vermerkt und die Leisten später angepasst.

Beim dritten Treffen werden die fertigen Schuhe mit maßgefertigten Schuhspannern übergeben und Pflege, Politur und Handhabung genau erläutert. Nun verlassen die Schuhe die Werkstatt und treten Ihren Weg an.

Für viele Kunden werden ihre Schuhe zu treuen Begleitern, die ihnen ans Herz wachsen. Das ist für mich einer der schönsten Aspekte meines Berufes: Dass ich Menschen glücklich machen kann mit etwas das mich glücklich macht.