Oft sieht man Anzüge eines Schneiders bevor man ihn selbst trifft. So ging es mir auch bei Simon Skottowe. Bei einem Wien-Besuch war mir vor vier Jahren bei einem Freund sein dunkelblauer Zweireiher mit Dreiknopffront aufgefallen. Mein Freund nannte als Schneider des Anzugs Simon Skottowe aus Budapest. Bei weiteren Besuchen sah ich bei diesem Freund und einem anderem Bekannten aus Wien weitere Anzüge dieses Schneiders. Ich hörte mich ein wenig um und hörte eine interessante Geschichte. Simon Skottowe ist ein Brite, der in Budapest ein Maßatelier betreibt. Ein paar Monate später lernte ich ihn beim Firmenjubiläum der Stoffhandlung Jungmann & Neffe kennen.
Simon sah mit seinem welligen Haar, der Brille und dem kurzen Vollbart sehr britisch aus, sein dunkelblauer Blazer unterstrich dies noch. Typisch britisch auch Simons trockener Humor. Wir unterhielten uns über verschiedene Themen, berührten natürlich auch die Maßschneiderei. Ich bat Simon um einen Kommentar zu meinem Maßblazer. Was er sagte, zeugte von einem guten Auge, Taktgefühl und Humor. Simon hat viele Kunden aus Wien, er trifft sie bei Jungmann & Neffe. Er schätzt die zentrale Lage der Stoffhandlung und die große Auswahl. An diesem Abend lud Simon mich zu einem Besuch nach Budapest ein, im Jahr darauf folgte ich der Einladung. Auf dem Programm meiner Visite stand die Besichtigung von Simons Geschäft und Werkstatt und am Abend ein Empfang für Freunde und Kunden des Hauses, bei dem ich einen Vortrag über die Bespoke-Kultur gehalten habe. Das Publikum war eine interessante Mischung aus Ungarn und Zugereisten, sehr elegant, gebildet und bestens informiert in Sachen „bespoke“. Beim Catering zeigte sich Simons in London und Italien gebildeter Geschmack.
Die Verarbeitung ist bei ihm exzellent, Muster verlaufen perfekt.
Simon ist 1998 nach Budapest gekommen. Nach einer Ausbildung als Modedesigner am Harrow College of Art, das auch einen ehemaligen Savile-Row-Schneider als Tutor verpflichtet hatte, ging Simon nach Mailand. Dort arbeitete er für ein Design-Studio und baute nebenbei einen Kundenstamm für Maßanfertigungen auf, den er privat bediente. 1998 kam das Angebot, nach Ungarn zu gehen. Ein Headhunter suchte einen Design Direktor für die ungarischen Produktionsstätten eines britischen Modehauses. Simon wagte den Sprung in ein anderes Land, eine andere Sprache und übernahm die verantwortungsvolle Position. 2001 machte Simon sich in seiner neuen Heimat mit einem Maßatelier selbstständig. Er erweiterte sein Angebot langsam um ausgewählte Konfektionsteile und Accessoires und bezog 2015 größere Räumlichkeiten. Heute arbeiten 5 Mitarbeiter für ihn. Simon schneidet alle Maßteile persönlich zu, macht die Anproben und leitet auch die Werkstatt.
Simons Stil ist eindeutig englisch geprägt, der Einfluss Norditaliens ist aber erkennbar. Man bekommt bei dem Briten auf Wunsch einen sehr authentischen Savile-Row-Look, allerdings stark entstaubt und etwas cleaner. Typisch Simon Skottowe wären nach meiner Beobachtung einer grauer Flanell-Einreiher mit Kreidestreifen aus Stoff von Fox Brothers, etwas höher geschlossener und mit drei Knöpfen. Die Schultern sind klar konturiert aber kaum gepolstert. Die Sanduhr-Form mit fallender Schulterlinie scheint nicht sein Fall zu sein. Zu diesem Anzug würde Simon eventuell einen klassischen Covert-Coat empfehlen und für das Wochenende ein Tweedsakko. Die Verarbeitung ist bei ihm exzellent, Muster verlaufen perfekt. Maßschneider, die eine Ausbildung als Modedesigner absolviert haben, arbeiten in diesem Punkt manchmal exakter als die reinen Handwerker. Auch wenn man ihm bei Kundengespräch zuhört, merkt man, dass Simon weit über den Tellerrand seiner Profession hinausgeschaut hat. Nicht der devote Smalltalk, der in der Savile Row immer noch häufig zu hören ist, stattdessen Dialog auf Augenhöhe und selbstbewusste Beratung. Simon hat seine Schneiderei höchst professionell organisiert, anders als viele seiner Kollegen kann er delegieren.
Simons Preise liegen weit unter dem Niveau der Savile Row und auch unter dem Wiens, man zahlt aber mehr, als bei anderen Schneidern aus Mitteleuropa, die z. B. bei Jungmann & Neffe gastieren. Simon Skottowe liefert dennoch ein sehr gutes Preis-Leistungsverhältnis. Man kann Simon in Budapest besuchen oder ihn in Wien bei Jungmann & Neffe treffen. Aktuelle Termine sollte man per E-Mail erfragen.