Kurz nachdem ich Heron’s Ghyll auf der Pitti Uomo im Juni 2023 kennengelernt hatte, bekam ich vom französischen Leinenhaus Maison Hellard neue Stoffproben ins Haus geschickt. Darunter eine schwarze Leinenqualität mit dem Namen „Palais Garnier“ aus der neuen Kollektion „Nuit parisienne“ mit Stoffen für den Abend. Mit 360 g/ m aus 100 Prozent Leinen erschien sie mir ideal für einen Abendanzug in dem Schnitt, den ich bei Heron’s Ghyll auf der Messe gesehen hatte. So entstand die Idee, die beiden Firmen zusammenzuführen. Ich stellte den Kontakt zwischen Mark Francis in London und Nathan Hellard her. Nathan schickte daraufhin eine Probe des schwarzen Leinenstoffs an Mark. Nach ein paar Tagen meldete sich Mark. Ihm gefiel der Stoff sehr gut. Das Leinen war zwar schwerer, als die Ware, die sie normalerweise einsetzen, sie würde sich aber problemlos verarbeiten lassen. So wurde die benötigte Menge bei Maison Hellard bestellt. Dabei musste berücksichtigt werden, dass die Knöpfe mit dem Oberstoff bezogen werden. Dies macht in London eine kleine Spezialwerkstatt, eine der letzten ihrer Art in der britischen Hauptstadt.
Meine Idee für den schwarzen Anzug von Heron’s Ghlyy geht auf das Foto eines Smokings aus Leinen zurück, das ich vor ein paar Jahren gesehen habe. Der Smoking, den ich 1999 in London bei Tobias Tailors aus relativ schwerem Woll-Barathea habe nähen lassen, ist an Sommerabenden oder in geheizten Innenräumen recht warm. Deswegen hatte ich schon eine ganze Weile nach einem Abendanzug Ausschau gehalten, der etwas leichter ist. Gleichzeitig habe ich nach einer Alternative zu dem klassischen Smoking gesucht, der nicht bei allen Abendanlässen passend ist. Die Anzüge von Heron’s Ghyll mit ihrem Stehkragen und der unstrukturierten Verarbeitung schienen mir genau das zu sein, was ich gesucht habe. Aus schwarzem Leinen geschneidert, würde das Modell, das mir in braunem Glencheck-Leinen in Florenz so gut gefallen und gepasst hat, genau die Mischung aus Förmlichkeit und Unkonventionalität bieten, die mir vorgeschwebt hat. Anfang August wurde der schwarze Leinenanzug dann geliefert. Leider zu spät für den Kongress der World Federation of Master Tailors in Biella, bei dem ich ihn gern getragen hätte.
Die Passform des Anzugs, der ohne jede Änderung in meiner Konfektionsgröße gefertigt wurde, ist wie erwartet, also sehr gut. Die Jacke ist ungefüttert und mit sehr weichen Einlagen verarbeitet. Die Hosen haben keine Bundfalten und werden von einem elastischen Bund gehalten. Ein Leibriemen ist also nicht nötig, deshalb haben die Hosen auch keine Gürtelschlaufen. Gleichwohl könnte ich mir zu der Jacke auch sehr gut eine etwas weitere Hose mit Bundfalten und Gürtelschlaufen vorstellen. Allerdings würde das bei Heron’s Ghyll eine andere Art der Hosenverarbeitung erforderlich machen, was vielleicht nicht zum Konzept der Schneiderei passt. Die Hosen sind sehr bequem und sitzen auch gut, man könnte in Erwägung ziehen, sie von Hosenträgern mit Clipsen halten zu lassen. Wenn man ein schweres Schlüsselbund und einen Portemonnaie in den Hosentaschen verstaut, könnten solche Hosenträger hilfreich sein. Der Look des Anzugs liegt irgendwo zwischen James-Bond-Bösewicht der 1960er und indischem Premierminister. Der Anzug ist definitiv abendtauglich, wäre aber auch am Tag einsetzbar oder bei bestimmten Geschäftsanlässen außerhalb der Bankenwelt. Ein Galerist könnte so einen Look tragen oder auch Musiker, Architekten oder Fotografen.
Um den Anzug in richtig in Szene zu setzen, haben wir in Berlin das KPM-Hotel als Location gewählt. Es liegt direkt neben der weltberühmten Porzellanmanufaktur, deren Inhaber Jörg Woltmann wir bereits interviewt haben. Das Hotel wurde 2019 eröffnet, die Lage am Tiergarten ist gleichzeitig zentral und ruhig. Das Interieur ist modern und verzichtet auf Pomp und Plüsch, es lässt aber auch nicht eine gewisse Wärme vermissen. Die Fotos sind in der Lobby, auf den Fluren, in einer halbfertigen Suite, die derzeit als Event-Penthouse genutzt wird, und in der sehr sehenswerten Tiefgarage entstanden. Ich habe den Anzug mit einem weißen Maßhemd aus weichem Oxfordstoff von Gino Venturini aus Wien kombiniert, dazu leichte Moreschi-Mokassins, feine Baumwoll-Kniestrümpfe von Bresciani und ein Seidentuch von Fumagalli.