Teil 1: Die Bestellung
Die Wiener Maßschuhwerkstatt Maftei ist seit über 20 Jahren in Deutschland bei Trunkshows präsent. Im Norden trifft Lucian Maftei die Kunden, in München sein Vater Alexandru. Die Familie Maftei ist in den 1980er Jahren von Rumänien nach Österreich emigriert, Alexandru Maftei fand in Wien Arbeit als Schuhmacher und eröffnete dort später ein eigenes Geschäft. Wer Maftei in Wien aufsuchen möchte, sollte einen Termin in dem Laden am Kühnplatz machen. Von spontanen Besuchen ist abzusehen, da das Geschäft nicht ständig besetzt. Die Werkstatt liegt ohnehin in Rumänien. Wer sich als Wiener oder Wienbesucher für Maßschuhe von Maftei interessiert, sollte also einen Termin ausmachen. Alexandru Maftei kommt gern im Büro oder Hotelzimmer vorbei, um Maß zu nehmen oder einen Schuh zu probieren. Seit kurzem ist Maftei auch regelmäßig bei Götrich in Stockholm zu Gast. Die Schuhe werden dort in drei Macharten gebaut, mit holzgenageltem Boden, zwiegenäht oder von Hand eingestochen.
Wir hatten uns bei Ladage & Oelke in Hamburg mit Lucian Maftei verabredet. Das temporäre Geschäft des traditionsreichen Ausstatters ist sehr geräumig. Etwa in der Mitte liegt die Schuhabteilung und dort erwartet uns Lucian Maftei. Er trägt ein kariertes Wollsakko, Kordhosen und Monkstrapschuhe. Trotz des mit Weiß durchsetzen Haars wirkt er jungenhaft. Sein Deutsch hat eine leichte Akzentfärbung, Wien hat nicht auf seine Sprache abgefärbt. Er hat nicht viel dabei. In einer Vitrine hat er vier oder fünf Musterschuhe hingestellt, auf dem Beistelltischen neben dem Ledersofa liegt ein Bündel mit den Lederproben. Die Utensilien für das Maßnehmen sind nicht zu sehen, wahrscheinlich sind sie noch verstaut. Zunächst plaudern wir ein wenig über meinen Besuch in Bukarest, über meine Treffen mit seinem Vater dort und in Wien und natürlich auch über Maßschuhmacher und Maßschuhe. Lucian Maftei wirkt zurückhaltend. Wenn man bei ihm ein Paar Schuhe bestellt, dann bekommt man nur ihn. Damit will er wohl sagen, dass ihm kein legendärer Ruf voraneilt. Auch das Geschäft am Kühnplatz ist nicht zu vergleichen mit den Läden seiner Wiener Kollegen Materna oder gar Scheer. Doch das stört ihn nicht, sagt Maftei. Er will allein durch seine Arbeit überzeugen, nicht durch Image oder Namen.
Für den Maßschuhmacher ist es egal, ob man zuerst das Schuhmodell und das Leder auswählt oder mit dem Vermessen beginnt. Meine Ideen für den Schuh hatte ich vorab per Bild übermittelt. Nach kurzer Überlegung hatte ich mich für einen Spitzderby entschieden, als Vorbild dient ein Modell von Maftei von seinem Instagram Account. Ich hatte kurz erwogen, das in Wien so beliebte Modell mit Mittelnaht zu ordern, da es aber ein Original-Design von Scheer ist, würde ich es lieber dort bestellen. Sofern ich jemals dazu die Chance bekomme. Der Spitzderby ist ebenfalls ein ein typischer „Wiener“, dazu kommt, dass ich kaum Derbyschuhe besitze und noch gar keinen nach Maß.
Ich ziehe meine Maßschuhe von Kay Gundlack aus und setze mich auf das Sofa. Lucian Maftei stellt zuerst den rechten bestrumpften Fuß auf einen Bogen Papier und zeichnet mit senkrecht gehaltenem Bleistift den Umriss nach. Danach ist der linke Fuß dran. Das alles geht schnell, nur wegen der Fotos gibt es kurze Unterbrechungen. Anschließend hält Lucian Maftei ein Stück Presspappe senkrecht neben den Fuß, legt ein weiteres Stück Papier darauf und zeichnet dann den Seitenriß des Fußes auf. Anschließend nimmt er den Abdruck der Fußsohlen auf Blaupapier, um zu erfassen, wo der Fuß den Boden berührt. Nun misst Lucian Maftei noch die Umfangmaße der Füße und notiert die Zahlen an den Stellen am Sohlenabdruck, die beim Abmessen markiert hat. Einen so genannten Trittschaum, als das Relief der unteren Hälfte des Fußes in verformbarem Schaummaterial, nimmt er nicht. Stattdessen betastet er die Füße sehr genau an Ferse und Achillessehne und betrachtet eingehend die Zehen.
Ich gehöre nicht zu der Art Kunde, die dem Handwerker bis in kleine Details alles vorgeben. Ich empfinde das immer als Eingriff in seine Gestaltungsfreiheit. Ich mache ledigliche sehr grobe Vorgaben, Lucian Maftei habe ich z. B. gesagt, dass der Schuh den Fuß optisch nicht verlängern und eher zierlich wirken soll. Die Zehenkappe bitte nicht spitz und nicht als Carré. Das Leder war schnell ausgesucht, da ich nur dunkelbraunes Rauleder oder weinrotes Glattleder erwogen hatte. Ich entscheide mich für weinrotes Kalbsleder. Auch das hat mit Wien zu tun. Nirgendwo sonst habe ich in den letzten Jahren so viel Schuhe in Weinrot, Kirschrot oder Ochsenblut gesehen. Auch das erste Paar Schuhe von Ludwig Reiter, das ich Ende der 1980er Jahre bei Heinrich’s in Hannover im Sale erstanden habe, hatte die Farbe von jungem Rotwein. Es wäre einmal ein interessantes Thema, den Grund für die Vorliebe der Wiener Schuhträger für diese Farbe zu ergründen.
Lucian Maftei wird gleich nach seiner Rückkehr in die Werkstatt mit dem Leistenbau beginnen. Wer den Kunden trifft, macht auch seinen Leisten, so das Prinzip bei Maftei. Auf dem Leisten wird ein Probierschuh gebaut, den ich bei Ladage & Oelke probieren werde.