Ein Maßschuh von Maftei Wien — Von der Bestellung bis zum fertigen Schuh

Teil 2: Der Probeschuh

Maßkleidung steht und fällt mit der Anprobe. Das gilt besonders bei Maßschuhen. Was nützt die schönst Handarbeit, wenn der Schuh nicht passt? Doch was heißt das, „er passt“? Dass er nicht drückt? Dass er möglichst eng anliegt, dabei aber nicht einengt? Doch was heißt „einengen“? Was der eine Kunde als zu eng empfindet ist dem anderen gerade angenehm. Maßschuhmacher haben es schwer, schwerer als Maßschneider. Natürlich kann der Kunde monieren, dass ihm der Stil des Anzugs nicht gefällt. Aber die Passform eines Anzugs lässt sich relativ objektiv definieren. Und wenn das Armloch nicht so eng ist, dass es unter den Armen kneift oder der Hosenbund den Bauch einschnürt, gibt es keine „gefühlten“ Probleme mit dem Anzug. 

Wenn der Kunde aber den Probierschuh überzieht, geht es fast ausschließlich darum, wie der Schuh sich anfühlt. Der Schuhmacher kann gucken und tasten, er kann den Probeschuh aufschneiden und nachsehen, wie der Fuß im Schuh eingebettet ist. Wenn der Kunde aber sagt, dass der Schuh hier oder dort drückt, kann der Schuhmacher nichts dagegen einwenden. Wie der Kunde den Probierschuh am Fuß empfindet, hat auch mit seinem Vorwissen über Passform zu tun und den Schuhen, die er sonst trägt. Wer z. B. so genannte „Bequemschuhe“ trägt, also Schuhe mit fußgerechter Form, oder Schuhe mit unterstützender Innensohle, der wird den Probierschuh anders am Fuß empfinden als derjenige, der klassisch geformte Rahmengenähte trägt. Doch auch das Vorwissen und die daraus entstehenden Erwartungen ändern nichts daran, dass der Probierschuh ganz subjektiv passen muss. 

Mit ein paar Wochen Verspätung fand für Lucian Maftei und mich dieser entscheidende Moment in Hamburg statt. Wir hatten uns bei Campe & Ohff im Mittelweg verabredet, einem langjährigen Geschäftspartner des Wiener Maßschuhmachers. Lucian Maftei trug wieder Sakko, Jeans und dieselben Maßschuhe wie beim letzten Treffen. Als wir zum verabredeten Termin erschienen, stellte er gerade einige Musterpaare seiner neuen Konfektions-Sneakers im Regal auf. Sie sind holzgenagelt, trotzdem sehr leicht und flexibel. Meine Probierschuhe standen in einem Schuhbeutel bereit. Auf den ersten Blick gefielen Sie mir gut, sie wirken schmal und schlank. Ich konnte mit Hilfe des Schuhlöffels mühelos hineinschlüpfen. An der Ferse lagen sie gut an und schmiegten sich angenehm an den Mittelfuß. Die Zehen hatten genügend Bewegungsraum. Auch im Stehen waren sie angenehm am Fuß.

Lucian Maftei bat mich, im Laden auf und ab zu gehen. Beim Abrollen spürte ich einen geringen Druck über den Zehenwurzeln, was Lucian Maftei auch von außen schon am Oberleder ablesen konnte. Am rechten kleinen Zeh brauchte ich ein bisschen mehr Platz. Lucian Maftei schneidet den Probeschuh nicht auf, er markiert die Änderungen von außen mit einem Stift. Mir erschien der Schuh ein wenig lang, was aber objektiv nicht so war. Im Vergleich waren die Probierschuhe nicht länger, als z. B. die Schuhe, die ich an dem Tag getragen habe. Der Eindruck der Länge entstand durch die Form der Seitenteile, die weit zurückgeschnitten sind und das Vorderblatt sehr lang aussehen lassen und meine sehr kurzen und schmalen Hosenbeine. Als einzige Änderung am Design wird Lucian Maftei die Seitenteile verbeitern und um mehr Schnürlöcher erweitern, da mir übermäßig gestreckt wirkende Schuhe nicht gefallen. Insgesamt hat die Anprobe vielleicht 20 Minuten gedauert. Lucian Maftei war dabei vor allem Beobachter, nur einmal hat er den Fuß im Schuh genauer abgetastet. Meine Idee, den Leisten etwas zu verkürzen, haben wir verworfen, da der Schuh objektiv nicht lang ist. Ich gehe davon aus, dass der fertige Schuhe, aus dem rotbraunem Leder gefertigt und mit den geänderten Seitenteilen, optimal proportioniert aussehen wird. In etwa vier Wochen werden wir das Ergebnis vorstellen können.