Ein Maßschuh von Maftei Wien — Von der Bestellung bis zum fertigen Schuh

Ein Maßschuh von Maftei Wien — Teil 3: Die Schuhe sind fertig

Lucian Maftei ist schnell. Und das, obwohl er nicht gerade für wenige Kunden Schuhe macht. Meine Derbys waren schon im Juli fertig, trotz der Verzögerung durch den Lockdown, ich hatte nur leider keine Zeit, sie abzuholen. Schnelligkeit ist nicht unwichtig im Bespoke-Geschäft. Die Vorfreude kann schnell umschlagen wenn das Ganze sich zu lang hinzieht. Bei Schneidern kommt das Risiko hinzu, dass der Kunde zwischen Maßnehmen und Anprobe sein Gewicht verändert. Das ist bei Maßschuhen weniger relevant. Die Gefahr, dass der Kunde während einer sehr langen Wartezeit sein Geld anderweitig ausgibt, ist aber real. Das kann dazu führen, dass er am Ende am Schuh herumkrittelt, weil er die Lust daran verloren hat oder inzwischen das Budget aufgebraucht wurde. Es kommt auch vor, dass ein neuer Lebenspartner auf den Plan tritt, der die Bespoke-Begeisterung nicht teilt. 

Die Chemie muss stimmen zwischen Handwerker und Kunden, davon bin ich überzeugt. Ich kenne jedenfalls kaum jemanden, der sich gern von einem Menschen einkleiden oder Schuhe machen lässt, der ihm unsympathisch ist. Auch wenn die Deutschen nach meiner Beobachtung eher bereit sind, Launen oder Grillen von Handwerkern zu tolerieren. Lucian Maftei ist mir sehr sympathisch. Unter anderem, weil er wenig Aufhebens von seiner Arbeit macht, sich anscheinend aber trotzdem sehr gut darauf versteht. Er doziert und philosophiert nicht, misst und beobachtet aber sehr genau und hat ein Proportionsempfinden, das sich mit meinem deckt. 

„Grundsätzlich soll der Schuh aber gleich passen“. Diese Aussage deckt sich mit dem, was ich vertrete. Maßschuhe sollte gleich passen.

Wir sind bei Campe & Ohff in Berlin verabredet. Das Geschäft liegt am Walter-Benjamin-Platz in Charlottenburg. Das Geschäft mit den Hemden geht gut, höre ich. Corona und Sommerwetter scheinen den Kunden nicht die Lust auf Maßhemden verdorben zu haben. Als ich im Geschäft ankomme, ist Lucian Maftei noch nicht da. Ich bin zehn Minuten zu früh erschienen und er trifft gerade noch einen Kunden in der Nähe des Ladens. Ich soll schon einmal die Schuhe anziehen, wird mir ausgerichtet. Ich habe sie bereits auf einer Vitrine entdeckt. Das Weinrot des Leders wirkt als Schuh schöner, als ich es mir vorgestellt hatte. Fast wie Cordovan in Ochsenblut. Nur der seidige Schimmer zeigt, dass es Kalbsleder ist. Der Schuh ist nicht übermäßig wasserpoliert. Was okay ist, denn ich bin gar kein Fan des extremen Spiegelglanzes. Die Vibramsohle ist auf die an den Rahmen aufgedoppelte Lederzwischensohlen geklebt und nicht angenäht. Lucian Maftei hatte das schon angekündigt. Er doppelt Gummisohlen nicht gern auf, anders als viele Hersteller von Goodyear-Schuhen. Von oben ist kaum zu erkennen, dass die Laufsohlen nicht aus Leder sind, von oben sieht man nur den schmalen Rahmen. Die Schnürung hat Lucian Maftei wunschgemäß nach der Anprobe verändert, sie hat jetzt 8 Löcher, dadurch wirkt der Schuh nicht ganz so lang. Optischer Eindruck von Form, Proportion und Finish: Note 1. Aber wie wird er passen?

Ich setze mich auf einen Stuhl und löse die Schnürung. Danach versuche ich, in den rechten Schuh zu schlüpfen. Beim ersten Versuch gelingt es nicht, ich muss die Schnürung weiter öffnen. Nun geht es gut. Der Schuh sitzt wie er soll: An Ferse und Mittelfuß liegt er perfekt an. An den Zehen ist genug Platz. Nun den linken Schuh. Auch er sitzt sehr gut. Ich stehe auf und gehe ein wenig auf und ab. In diesem Moment kommt Lucian Maftei herein. Er sieht gleich mein zufriedenes Gesicht und begrüßt mich lächelnd. Er betrachtet den Schuh, während ich weiter im Laden herumlaufe. Ihn interessiert vor allem, wie die Schuhe im hinteren Bereich sitzen. Muss man seine Maßschuhe einlaufen? Er zuckt lächelnd die Achseln: „Nicht wirklich. Ich kann sie so bauen, dass sie minimal zu eng sind und sich dann beim Tragen etwas weiten. Grundsätzlich soll der Schuh aber gleich passen“. Diese Aussage deckt sich mit dem, was ich vertrete. Maßschuhe sollte gleich passen. Das heißt nicht, dass man sie gleich beim ersten Mal fünf Stunden am Stück bei einer Stadtwanderung anzieht. Sie sollten aber keinesfalls nach ein oder zwei Stunden drücken. Am Anfang spürt man den Schuh vielleicht an ein paar Stellen etwas mehr, er sollte aber nicht einengen. Wer sehr empfindliche Füße hat, muss vermutlich vorsichtiger an die ersten Stunden herangehen.

Die Schuhe kommen in dunkelblauen Stoffbeuteln und mit unlackierter Holzspannern in Form des Maßleistens. Die Preise, die Maftei für seine Maßschuhe aufruft, liegen weit unter denen anderer Anbieter. Laut der Preisliste, die bei Campe & Ohff erhältlich ist, kosten Kalbslederschuhe mit dem ersten Paar Maßleisten und Probeschuh 1150 Euro. Wer auf denselben Leisten nachordert, zahlt 950 Euro. Cordovan kostet 350 Euro Aufpreis. Maftei ist ein Wiener Schuhmacher, seine Werkstatt liegt aber in Rumänien. Dort werden bekanntlich hervorragende Schuhe gemacht, erwähnt sei hier nur als ein Beispiel Saint Crispin’s. Maftei kommt seit zwanzig Jahren nach Deutschland, er hat in dieser Zeit bei einigen der besten Herrenausstatter Station gemacht. Und als weitere Referenz sei noch erwähnt, dass in Mafteis Werkstatt auch andere Maßschuhmacher Schuhe bauen lassen, darunter einer der berühmtesten überhaupt. Es gibt vermutlich keinen, der ein besseres Preis-Leistungsverhältnis anbietet. Das ist keine Garantie dafür, dass jeder am Ende zufrieden ist. Ich bin es.