James Whitfield Bespoke — Londoner Eleganz in Berlin: Anprobe, Stoff und das fertige Sakko

Ein Herrenschneider, der sein Handwerk in Deutschland gelernt hat, ist einfach ein Herrenschneider. Ein Herrenschneider, der seine Lehre in der Savile Row gemacht hat, ist schon interessanter. Ein waschechter Londoner, der bei Anderson & Sheppard ausgebildet wurde, ist eine Sehenswürdigkeit. Jedenfalls in Deutschland. Wie ein Koch, der in einem berühmten Restaurant in Frankreich gelernt hat oder ein Gitarrist aus Nashville. Der große Ruf, der bestimmten Ländern in einigen Bereichen vorauseilt, überträgt sich als Vorschusslorbeer auf jeden, der aus diesem Land stammt und in dem betreffenden Bereich aktiv war. Der Londoner „bespoke tailor“ James Laurence Whitfield profitiert definitiv von seiner Herkunft. Doch Vorschusslorbeeren sind nur ein Türöffner. Am Ende zählt die Qualität, die man abliefert. Und die scheint zu stimmen.

James ist seit 2012 in Berlin und ungefähr so lange kenne ich ihn auch schon. Kurz nachdem er in die Stadt gekommen war, wurde er Zuschneider bei Purwin & Radczun. Dort traf ich ihn zum ersten Mal. James ist weder der schwatzhafte Cockney, den man unter den Schneidern der älteren Generation häufig antrifft, noch der servile Typ, hinten dessen Freundlichkeit der Snobismus durchscheint. James ist für englische Begriffe sehr direkt, kein Dauergrinser und von sehr trockenem Humor.
Seit September 2019 arbeitet James unter eigener Regie. Sein Atelier liegt in einem Atelierhaus in Moabit, ein Kunde hat ihm die Räume vermittelt. Sie bestehen aus einem Empfangsraum, der für Kundengespräche und Anproben genutzt sowie der Werkstatt.

Ich habe schon einige Anzüge, Sakkos, Mäntel und Hosen gesehen, die James zugeschnitten hat. Als halbfertiges oder fertiges Teil, auf dem Bügel und am Menschen. Bei Instagram bekommt man einen guten Eindruck von seinem Look. Er liebt etwas weitere, gleichwohl weiche Schultern, eine betonte Taille und einen etwas längeren Rock. Seine Verarbeitung ist weich, allerdings strukturierter als bei Anderson & Sheppard. James rät den Kunden eher zu etwas schwereren Stoffen, wenigstens aber zu Qualitäten mit etwas kräftigerem Griff, sehr aus britischen Webereien.

Um einen persönlichen Eindruck von seiner Arbeitsweise zu bekommen habe ich bei unserem Besuch ein Sakko bestellt. Stoff hatte ich dabei, einen Coupon mittelschweren, karierten Wollstoff von Scabal. Beim Gespräch stellte sich heraus, dass die 1,80 m, die ich bei Scabal gekauft habe, sehr knapp bemessen sein könnten, da James die Zungentaschen nicht an das Besetzen anstückelt, sondern beides aus einem Stück zuschneidet. Außerdem hat er bei einem Neukunden lieber etwas mehr Stoff zur Sicherheit, vor allem bei karierter Ware. Deshalb wird James die erste Anprobe als Nesselprobe machen. Danach kann er den Schnitt auf den Karostoff zeichnen.

Der Schnitt war schnell festgelegt: Dreiknopf-Front, Leistentasche an der Brust und Pattentaschen. Ich hatte zuerst an Seitenschlitze gedacht, James schlug aber den klassisch-englischen Mittelschlitz vor und ich fand die Idee sehr gut. Die Innentaschen wird er in Stoff einfassen, weil das eines seiner Markenzeichen ist. Beim Maßnehmen arbeitet James allein mit dem Maßband, die Ansatzpunkte dafür sucht er mit den Fingern. Er verwendet nicht den bei vielen deutschen Schneidern beliebten Taillengurt, er ertastet die Taille mit den Händen. Das Maßnehmen ging schnell, James legt das Maßband dabei straff an den Körper. Die erste Anprobe hätte schon stattgefunden, wenn die derzeitige Ausgangssperre nicht ein Treffen verhindern würde. Sobald sie aufgehoben ist, werden wir einen Termin vereinbaren.