James Whitfield Bespoke — Londoner Eleganz in Berlin: Anprobe, Stoff und das fertige Sakko

Der finale Stoff wird probiert

Einen Anzug in der Savile Row schneidern zu lassen, war seit Ende der 1980er ein Traum von mir gewesen. 1998 hat sich dieser Traum erfüllt, als ich bei Tobias Tailors einen Doppelreiher geordert habe. Bis 2004 habe ich danach fast ausschließlich in London Anzüge machen lassen, außerdem Hemden und sogar Schuhe. Auch der Großteil der von mir gekauften Konfektion und Accessoires stammte aus England.

Nicht jeder will wie ein Angehöriger der britischen Upperclass von vor 50 Jahren aussehen. 

Heute betrachte ich die Savile Row und die englische Maßschneiderei aus mehreren Gründen sehr viel nüchterner, um nicht zu sagen ernüchterter. Die Zeit scheint in London stehengeblieben zu sein. Das ist einerseits gut, andererseits aber auch ein Problem. Denn nicht jeder will wie ein Angehöriger der britischen Upperclass von vor 50 Jahren aussehen. Die italienische Maßschneiderei hat es viel besser vermocht, sich immer wieder zu verjüngen. Selbst betagte Altmeister wie Antonio Liverano oder Antonio Panico können für einen jungen, schlanken Kunden richtig attraktive Anzüge machen.

Die Schwäche der großen britischen Häuser liegt meines Erachtens darin, dass die meisten seit Jahrzehnten von Inhabern oder Geschäftsführern geleitet werden, die selbst keine Schneider mehr sind, geschweige denn alles zuschneiden. Das beste Gegenbeispiel ist Cifonelli in Paris, hier schneiden nicht angestellte „cutter“ zu, sondern Massimo und Lorenzo Cifonelli persönlich. Obendrein machen sie auch alle Anproben. Auch in der Savile Row war es noch bis in die 1970er Jahre bei vielen Schneidereien üblich, dass der Chef auch Zuschneider war, diese Zeiten scheinen in der Savile Row seit langem vorbei zu sein. Ich glaube, dass die Zukunft der englischen Schneiderei in kleineren Ateliers liegt, wie z. B. dem von James Whitfield. Dass er in Berlin ansässig ist, macht für mich keinen Unterschied. Im Gegenteil, es könnte sogar ein Vorteil sein, dass er nicht von Großstückschneidern abhängig ist, die für die verschiedenen Firmen in der Savile Row arbeiten. Stattdessen bildet James seine Mitarbeiter selbst aus, was eine konstante Qualität sichert.

Die erste Anprobe hatte als „toile“ stattgefunden, nun ist von James mein Karostoff von Scabal zugeschnitten und zusammengeheftet worden. Nur für die Ärmel hatte er sicherheitshalber noch einmal einen anderen Stoff verwendet, da bei dieser Anprobe die Ärmellage noch notiert werden musste. Bei einem karierten Stoff soll das Muster vom Vorderteil über die Ärmel weiterlaufen, dazu müssen die Ärmel passend zur Armhaltung angenäht werden. Die Ärmellage zu ändern, ist bei einem Karostoff im Nachhinein nicht möglich, deshalb die Anprobe mit Ärmeln als „toile“. Auf dem Bügel gefiel mir der Stoff sehr gut, ich hatte ihn länger nicht gesehen und noch nie als Kleidungsstück. Als ich mit Hilfe von James in die Jacke hineingeschlüpft war, fühlte sie sich sehr gut an. Das Armloch ist hoch, sitzt aber genau an der richtigen Stelle und kneift nicht unter der Achsel. Bei der ersten Anprobe war das Armloch noch ein wenig zu klein oder zu hoch gewesen, jedenfalls merkte ich es in unangenehmer Weise. Das hatte James also behoben.

Der optische Eindruck von vorn war beim ersten Blick in den Spiegel sehr gut. Ich bin selten begeistert, hier war ich es. Die Schultern etwas weiter, ein klein wenig Brustwölbung, das Revers rollt perfekt zum obersten Knopf, leichte Taillierung und genau die richtige Länge. Über die Höhe des Schließknopfs haben wir uns kurz ausgetauscht, dann bin ich James‘ Vorschlag gefolgt. Er wollte den Knopf ein kleines wenig höher setzen, was ich sehr gut finde. Die Jacke ist länger als der Hartl-Sakko, den ich an diesem Tag getragen hatte, was mir aber gut gefällt. James macht gern etwas längere Jacken, was mir nach langer Savile-Row-Abstinenz wieder sehr gut gefällt.

Bei mir hat die Anprobe neue Begeisterung für die englische Schneiderei geweckt.

Der Rücken ist hervorragend, der Stoff liegt über den Schultern perfekt und wölbt sich schön in das Hohlkreuz. Viele Kunden beachten die Rückseite der Jacke viel zu wenig, dabei zeigen sich dort sehr klar die Qualitäten des Zuschneiders. James ist relativ zurückhaltend mit Gefühlsäußerungen und keinesfalls einer von den Schneidern, die sich an ihrer eigenen Arbeit berauschen. Ich hatte aber das Gefühl, dass er auch zufrieden war mit der Anprobe. Bei mir hat sie neue Begeisterung für die englische Schneiderei geweckt. Wobei ich es in London selten erlebt habe, dass eine Jacke so exakt meinen Vorstellungen entspricht. Ich bin sehr gespannt darauf, das fertige Teil bei der Fertigprobe zu sehen.